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Wohlstand und Sicherheit verlieren ihren Stellenwert

Von Tine Lowisch

Vor gerade einmal sechs Jahren kamen fünf Freunde aus Mexiko-Stadt auf die Idee ein Bühnenformat zu entwickeln, das sehr gut in unsere Zeit passt: Die sogenannten Fuckup-Nights haben mittlerweile in 252 Städten weltweit erfolgreiche Ableger entwickelt und ein treues Publikum gefunden. Worum geht es da? Bei diesen Events stellen sich Menschen vor ein Publikum und erzählen freiwillig und sehr ehrlich, wie sie zum Beispiel ihren Job verloren haben, warum sie insolvent gegangen sind oder, wie es dazu kam, dass sie aus irgendeinem anderen Grund aus ihrer Bahn gerieten. Jeder erzählte Knick einer Biografie wird frenetisch vom Publikum bejubelt.

Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp
Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp

Jetzt kann man sich fragen: Wer traut sich sowas? Letztlich wahrscheinlich nur diejenigen, die es aus der jeweils sehr persönlichen Krise wieder herausgeschafft, sich also von ihrem Scheitern erholt haben. Ganz schön halbmutig aber immerhin ein Anfang. Denn in der Umgebung der Alles gut - Antworter wirkt diese rudimentäre Ausprägung einer neu festzustellenden Strömung unter dem Label : Kultur des Scheiterns immerhin erfrischend.

Mein Vater hat immer gesagt: „Wenn du fleißig bist, den Verhältnissen vertraust und voller Elan loyal bleibst, dann gelingt es.“ Fleißig war ich, den Verhältnissen vertraue ich, allerdings nicht mehr blind und aus irgendeinem Grund erhalte ich mir auch fortlaufend meinen Elan. Meinen Lebensentwurf, der sehr gut zu mir passt, kennen Sie ja. Ich bin Künstlergattin mit allem Drum und Dran, mit allen Konsequenzen.

Ich glaube zum Beispiel fest daran, dass Ordnungen und Vorstellungen, die zu festgefahren, Werte die zu etabliert, oder Märkte die zu überhitzt sind ihre Dynamik irgendwann einmal verlieren oder diese Systeme unvermittelt kippen können. Darüberhinaus glaube ich fest an die Chancen für die jeweils nächste Generation und überhaupt an generationsübergreifendes Handeln. Wenn die nächste Generation also, aus einem natürlichen Selbsterhaltungstrieb heraus, nicht nachlässt, die bestehenden Übereinkünfte immer wieder neu zu verhandeln, weil sie das kann und auch tun muss, dann gelingt es. Denn auch, wenn zum Beispiel Sokrates befürchtete, dass die Jüngeren den Luxus lieben, die Lehrer ärgern und herum lümmeln und auch sein Schüler Platon sagte: „Die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat“. Und später auch noch dessen Schüler Aristoteles an der Zukunft der Zivilisation verzweifelt, wenn er die Jugend sieht, sehe ich das aktuell ein bisschen anders: Das Stereotyp des respektlosen jungen Menschen hat aus meiner Sicht ausgedient, es gilt nicht mehr. Ich beobachte vielmehr, auf Grund der wissenschaftlichen, kulturellen und technischen „Errungenschaften“, ein ungesundes juveniles Verhalten der im Moment älteren Generation, gepaart mit einer vielleicht evolutionär bedingten Angst vor Veränderung, die mich oft sprachlos macht.

Derzeit verlieren Kategorien wie Wohlstand, Gesundheit und Glück, Sicherheit und Ordnung für viele ihren ausgehandelten Stellenwert. Wenn Spezialisten aller Disziplinen, darunter Wissenschaftler, Journalisten, Lehrer, Ärzte, Sozialarbeiter, Pfleger, Politiker und Polizisten — und nicht zuletzt die Kunst - und Kulturschaffenden vor kippenden Momenten warnen, unke ich jetzt mal in die andere Richtung: Wenn die Hoffnung der Letzten, der Jüngeren also, wahr werden soll, müssen sich die Verhältnisse zunächst in jedem jungen und in jedem alten Herzen ändern. Sonst werden immerzu die jeweils Letzten die Nächsten sein.

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