Aus der Zeit gefallen Plädoyer für echte Begegnungen mit echten Menschen // 17. September 2025 Von Torsten Krug Zurück aus der mit Händen greifbaren, den Atem beeinflussenden Stille der Berge, in denen der eigene Herzschlag zum alles umfassenden Geräusch werden kann, versuche ich, wieder in der kontrastreichen Welt des Wuppertaler Kulturlebens anzukommen. Menschen sind zu betrauern, wie der Tänzer, Choreograph und Künstler Mark Sieczkarek, den die Krankheit in seine ureigene Stille geführt hat. Wahlergebnisse überraschen und durchrütteln die Routinen in unserer Stadt. Gewissheiten verfliegen, und oft steht gefühlt wieder alles auf Anfang, alles auf Neu. Das mutet um so fremder an, als ich eben noch Teil einer mit ihrer Vergangenheit viel verbundeneren Welt sein durfte, eintauchen konnte in die Geschichte eines Ortes, der sich nur langsam verändert. Doch weg mit aller Urlaubsromantik. Der Alltag rollt heran und ich springe auf. Vor meinem Fenster rauscht nicht mehr der Rindbach, sondern der Wuppertaler Verkehr. Torsten Krug - Foto: Andreas Fischer Dennoch nehme ich – gerade als Kunstschaffender – diese Sehnsucht mit: nach Raum, der sich in Ruhe füllen darf, der nicht unbedingt zielgerichtet organisiert sein will. Kunst entsteht nicht, indem ich von A nach B gehe – womöglich Ressourcen schonend –, sondern oftmals, indem ich B vage suche und dabei A entdecke – oder so ähnlich. Kürzlich las ich von einer Schriftstellerin, die zum Schreiben einen Ort aufsuche, an dem sie kein Internet hat, ein Zimmer, in dem nur Papier und Stifte liegen. Diesen Impuls kann ich gut verstehen. Die Ultra-Vernetzung mit scheinbar potenziell allem und jedem erschwert den Fokus, das Scharfstellen auf etwas, das noch zu finden ist. Doch vor allem erlebe ich immer wieder, dass uns das Digitale nicht vernetzt, sondern verwirren kann. Es bedient unseren Hang zur Sucht, unsere innere Einsamkeit, auch unseren Informationswillen. Doch letzten Endes geht es ums Atmen. Um Versenkung, den Augenblick, etwas in sich ans Licht zu holen und zu bearbeiten. In „Meetings“, die leider immer öfter nur digital stattfinden, begegnen uns unterschiedlichste Tools, die uns simulieren wollen, wie es ist, gemeinsam an einer Sache zu arbeiten. Theoretisch unendliche Flipcharts breiten sich im virtuellen Raum aus und wollen beschrieben werden, Verknüpfungen werden gemacht, digitale Post-it Zettel kleben an Rahmungen. Alle können in Echtzeit daran arbeiten, ob es nun Nacht ist oder sie allein in einem fernen Hotelzimmer sitzen. Manchmal erlebe ich, dass die Diskussion um die Verwendung der vielen angebotenen Tools mehr Raum einnimmt als Fragen des eigentlichen Themas, die Frage, weshalb man zusammen gekommen ist. Wenn ich mir später das Ergebnis anschaue, habe ich den Eindruck, als visualisiere es mir etwas, das ich gar nicht sehen muss, als versuche es, nicht unsere Gedanken aufs virtuelle Papier zu bringen, sondern unser Denken. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon immer ins Hören verliebt war. Ein visuelles Abbild von Stichwörtern, das Strom verbraucht, gibt mir nicht viel. Stattdessen möchte ich mit einem Menschen sein. Möchte seine Pausen hören, mit ihm in einen Flow kommen oder eben nicht, mit ihm spazieren gehen möglicherweise. Bei einem solchen Flanieren begegnen uns Hunderttausende Eindrücke, die wir unbewusst filtern, die unsere Ideen beeinflussen, stimulieren oder zerstören. Wir denken mit dem Körper. Die Pandemie hat uns viele Fortschritte im gemeinsamen virtuellen Arbeiten machen lassen. Doch ich möchte lieber wieder den Menschen in die Augen sehen – nicht auf die Stirn. Anregungen ➜ kolumne@fnwk.de 230