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Kunst aus Wuppertal ist genial

Über etwas Altes, etwas Neues und den Freiraum dazwischen // 15. Oktober 2025

Von Tine Lowisch

Irgendwie hängt die geistige Freiheit der Kunst, wie wir sie zurzeit begreifen, gerade in der Luft. Mitten im Spannungsfeld zwischen handwerklicher Tradition, industrieller, automatisierter Erinnerung und digitaler Intelligenz. Die Frage der Autorschaft verschiebt sich von der menschlichen Hand zum hybriden Zusammenspiel zwischen Algorithmus und Maschine, eine klassische Kunstfertigkeit trifft zusammen mit technologischer Innovation.

Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp
Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp

Auch Bildhauermethoden verändern sich… Anstatt dass weiterhin die skulpturale Eroberung von Alltagsbildern Eingang in den Kanon der Kunst findet, dreht sich der Wind, und die Eroberung von Bildern der Kunst findet Eingang in den Alltag auf allen Ebenen. Vom Opfer bis zum Täter im Vorabendkrimi bis zum Mainzelmann in den Pausen oder in der Werbung für Autos, Banken oder Lebensversicherungen, alle malen und meißeln auf einmal. Künstler finden sich bald in allen erzählten Geschichten wieder, finden sich überall verkörpert – in den Mediatheken und auf Streamingdiensten. Der Unterschied zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit, von den schönen Künsten zu leben verwischt dadurch. Ist das ein Fehler von heute, den wir morgen für richtig halten werden?

Neulich, im Kolkmannhaus, zwischen Kunst und Kaffeetassen, kam, wie aus dem Nichts, bei mir der unbedingte Wunsch nach dem Unbegreiflichen zurück, nach einer Art Genialität, die nach Terpentin und Pathos duftet. Gefährlich, gefährlich, dachte ich … schwingt da zugleich ja auch immer Hierarchie, Ausschluss und Überhöhung mit. Als Kunstkind der 1990er in Wuppertal wollte kaum jemand “genial“ sein. Kunst war damals immer Prozess, Haltung, Diskurs, sehr oft Improvisation. Das “Wir“ zählte mehr als das “Ich“ – die Heldenerzählungen der Moderne galten als überholt. Wenn ich mich heute in den Ateliers in Wuppertal so umschaue, ist das im Grunde immer noch so.

Wenn ich mich allerdings in den virtuellen Ateliers auf der ganzen Welt umschaue, ändert sich gerade etwas: Die Sehnsucht nach der Aura des Genies leuchtet an manchen Stellen wieder auf. Vielleicht liegt es daran, dass mittlerweile alles in Echtzeit kopiert, geteilt und kommentiert wird und Künstliche Intelligenz uns zu Schnelligkeit in dem Begreifen von Bildern, durch die Manege treibt. All das ruft nach Gegenbildern. Nach künstlerischen Gegenreaktionen darauf, dass Kunst im Überfluss zur Verfügung zu stehen scheint. Hier bekommt das Authentische, das Nicht-Reproduzierbare, das Unverwechselbare plötzlich wieder mehr Gewicht. Ein neuer Wunsch nach Genialität ist aus dieser Perspektive heraus also durchaus nachvollziehbar.

Wäre dieser Wunsch ein Ton, müsste er allerdings anders klingen. Nicht einsam und / oder elitär. Lieber harmonisch, als guter Ton, einer der Resonanz erzeugt. In der Freien Szene erlebe ich, wie Kunstschaffende hier und heute genau daran arbeiten: an einer neuen Form von Einzigartigkeit. An einer Individualität, die nicht abgrenzt, sondern verbindet. An einer neuen Sprache, die nach Hand, nach Material, nach Haltung fragt. Und vielleicht ist genau das der neue Ausdruck von Genialität: Nicht die Pose, sondern die Präsenz. Nicht das isolierte Ich, sondern das Netz aus Stimmen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Wuppertal dadurch lebenswert bleibt. Die Künstlerinnen und Künstler, die in dieser Stadt leben und arbeiten wissen genau, dass sie in einer langen Traditionslinie stehen, sich um ihre bröckelnde Stadt, die sich seit Jahrzehnten zwischen Aufbruch und Improvisation bewegt, zu kümmern. Und auch, wenn sie selbst nicht genial sein wollen – sind sie es einfach.

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