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Überall hängt noch ein Fetzen Paradies

Von der Kraft lokaler Utopien in dystopischen Zeiten // 18. Juni 2025

Von Heiner Bontrup

„Überall hängt noch ein Fetzen Paradies“, hatte Else Lasker-Schüler 1937 in ihrer Schrift „Hebräerland“ über Jerusalem geschrieben. Dreimal war sie aus ihrem Schweizer Exil dorthin gereist. Dann brach der II. Weltkrieg aus, und sie saß fest in jenem Sehnsuchtsort, den sie als „Gottes verschleierte Braut“ und „Sternwarte des Jenseits“ idealisiert hatte. Worte, die in uns gefrieren, eingedenk des Hamas-Massakers am 7. Oktober, der humanitären Katastrophe in Gaza und den derzeit eskalierenden kriegerischen Konflikten in Nahost.

Heiner Bontrup - Foto:Kali Kader
Heiner Bontrup - Foto:Kali Kader

Auch damals war Jerusalem nicht das Paradies, das sich Else Lasker-Schüler erhofft hatte. Sie litt unter der Gluthitze, empfand bittere Armut und war als Dichterin im Exil getrennt von ihrem deutschen Publikum. Aber ihre Überzeugung, dass auch in den bittersten Momenten etwas Licht vom Jenseits ins Dunkel des Diesseits strahlt, hat sie dennoch nicht, gerade nicht aufgegeben.

Man könnte verzweifeln, man könnte verrückt werden über die multiplen Krisen, von denen diese aus den Fugen geratene Welt erschüttert wird. Man könnte Urlaub machen in Bangkok, Amoklaufen, sich in den Schrebergarten oder ins allzu Private zurückziehen.

Faszinierenderweise gehen aber viele Menschen kreativ mit dieser dystopisch anmutenden Wirklichkeit um. Sie gestalten beispielsweise in der Utopiastadt ein Labor, in dem Visionen für die Zukunft des Wohnens und des Lebens erprobt werden. Ein Ort, der in einer fast surrealen Mischung Provinzialität und Globalität mit fantastischer Entspanntheit kombiniert und dabei weit über die Ränder des Wuppertals hinaus strahlt. Er haucht dem alten Gedanken „Think globally, act locally“ aus dem Dunstkreis des Pioniers der Umweltbewegung David Brower neues Leben ein. Wahrscheinlich ist die Verortung des Utopischen in der Überschaubarkeit lokaler Verhältnisse die einzige Chance, dem Wahnsinn der Welt zu entkommen.

Wuppertal hat viele solche Orte: Dem Fetzen Paradies bin ich unlängst in der Sophienkirche bei der von Uli Kiekbusch kuratierten Musikreihe „Unerhört“ begegnet, als der Rheinische Kammerchor Köln vor nur wenigen Zuhörern Töne zauberte, die nicht von dieser Welt waren. Keine Presse berichtete über dieses wunderbare Konzert, aber die Musik klang noch sehr lange in mir nach und lüftete für Momente den blickdichten Vorhang, den die Wirklichkeit über den Himmel des Guten, Wahren und Schönen gelegt hat.

Nur wenige Schritte entfernt liegt der „Ort“, wo der freie Jazz und die improvisierte Musik ihre Heimstatt haben. Noch ein paar Schritte weiter und Sie erreichen das „Loch“, einen „Ort der spartenübergreifenden Kunst, des Austauschs von wilden Gedanken und Ideen“. Beide Spielstätten sind vielfach für ihr Programme prämiert worden. Vor allem aber zeigen sie, dass Menschen sich nicht der Macht der Verhältnisse beugen müssen, sondern ihre eigenen Gegenwelten gestalten können.

Wenn Sie die Stufen der Preßburger Treppen von der Gathe aus gen Paradestraße im Viertel Ostersbaum hinaufsteigen, werden Sie bei Ihrem Aufstieg flankiert von Fassaden mit bunten Hochsprungstäben aus Tonkacheln. Gestaltet hat diese die Wuppertaler Künstlerin Diemut Schilling. Für dieses Projekt hatte Schilling zuvor Schülerinnen und Schüler der nach Else Lasker-Schüler genannten Gesamtschule gefragt: „Was möchtest du überwinden?“ Während Sie also von den Visionen der Selbstüberwindung junger Menschen begleitet die Treppe hinaufsteigen, den Kopf in den Nacken gelegt, sehen Sie in den Himmel über Wuppertal. Sie sehen: einen Fetzen Paradies.

Heiner Bontrup ist stellvertretender Vorsitzender der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft.

Feedback bitte an kolumne@fnwk.de

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