Verändern heißt, nicht aufzugeben Über die „Human Library“, Gespräche auf Augenhöhe und die Kommunikation zur Zukunft der Kunststation Wuppertal // 30. August 2023 Tine Lowisch Eine Feministin, eine Muslima, ein Lehrer, ein Arbeiterkind, eine transgeschlechtliche Person: Das waren fünf der „menschlichen Bücher“, die bei der „Human Library“ im März dieses Jahres – dieses Mal in Hamburg – mitsamt ihrer Lebensgeschichte zum „Verleih“ standen. Ursprünglich stammt das künstlerische Konzept dieser lebendigen Bibliothek aus Dänemark. Der Impuls der mittlerweile seit 23 Jahren weltweit durchgeführten Veranstaltungen ist bis heute gleichgeblieben: Menschen, die bereitwillig ihre Lebensgeschichte erzählen, lassen sich für eine halbe Stunde zum öffentlichen Gespräch als „menschliche Bücher“ ausleihen. Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp Mittlerweile ist diese zur gemeinnützigen Organisation herangewachsene Idee mit ihrem Human-Library-Format in mehr als 80 Ländern aktiv. Die Freiwilligen, die sich zum Gespräch ausleihen lassen, tragen bei den Treffen T-Shirts mit der Aufschrift „Unjudge someone“, also in etwa „Enturteile jemanden“. Es geht darum, in persönlich geführten Gesprächen und trotzdem öffentlich wirksam, Vorurteile abzubauen. Die Kombination einer zutiefst menschlichen Geste als Grundgedanke mit Eventcharakter also, ein Beispiel für wunderbare Kunstarbeit, wie ich finde. Denn erst, wenn wir kommunizieren, wenn wir hören, sehen und fühlen, erkennen wir Fehler und ertragen sie oder genießen Erfolge und/oder bemerken die Grautöne dazwischen. Erst in Gesprächen auf Augenhöhe kann man also versuchen, sich immer wieder neu das Wohlwollen der anderen und damit das eigene Überleben zu sichern und es schaffen, sich in der Gegenwart immer wieder neu zu verankern. Heißt aber auch: Wenn Kommunikation fehlt, passieren Fehler. Ich werde in den letzten Tagen, seit bekannt geworden ist, dass wir unsere Kunsträume im Bahnhof Vohwinkel bald verlassen werden und wir unser gemeinwohlorientiertes Projekt, die Kunststation Wuppertal, an anderer Stelle weiterführen wollen, zum Beispiel oft gefragt, warum wir aufgeben? Das tun wir gar nicht. Eigentlich verlassen wir den Bahnhof Vohwinkel nur, weil es jetzt Zeit für uns wird, weiterzuziehen, und weil wir einfach Lust auf Veränderung haben. Unsere Mission Bahnhof schließen wir nach zehn Sommern ohne Pause erfolgreich ab, da mit der BuGa 2031 ein Nachfolger, ein trag- und anschlussfähiges Konzept zur Erhaltung des denkmalgeschützten Empfangsgebäudes gefunden werden konnte. Der September wird daher noch einmal feierlich fein, zum Beispiel am 1. September, wenn der Herbst beginnt und damit unser zehnter Sommer am Bahnhof endet. Marvin Dillmann macht mit seiner Didgeridoo-Soundperformance in unserem Freiraum, inmitten von Skulpturen zusammen mit Eckehard Lowisch das Angebot, bewusst innezuhalten. (Einlass: 18 Uhr; freier Eintritt). Danach beteiligen wir uns noch an Wuppertal 24 Stunden live und zum wiederholten Mal am Tag des offenen Denkmals. Mit einer ganz besonderen Autogrammstunde nehmen wir darüber hinaus im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche vom 16. bis 22. September teil, täglich immer von 12 bis 13 Uhr, wenn das Büro für künstlerische Praxis temporär in den Fahrgastunterstand vor dem 5Nischenprojekt einzieht. Vom Aufgeben kann also überhaupt keine Rede sein. Eher vom Aufteilen, denn jetzt haben wir das Gefühl, dass die Kaiserstraße mit ihren Leerständen unsere Initiative dringender braucht. Wenn es gut läuft, finden Sie die Kunststation Wuppertal bald dort, mit leicht abgewandeltem Konzept. Etwas Altes, etwas Neues … etwas, das sich in der Kombination vertraut anfühlt und dessen Nutzen instinktiv verstanden wird. kolumne@fnwk.de 1675