Kunst, Kultur und das Recht auf Widerspruch Plädoyer für das Aushalten der Unterschiedlichkeit // 14. Mai 2025 Von Kati Trempler Es gibt Worte, die sich wie ein glättender Film über die Wirklichkeit legen. Sie geben ein Versprechen: Miteinander, Diskurs, Vielfalt. Doch wenn ich mich umschaue, sehe ich, dass sie oft nur noch als Kulisse dienen. Die Bühne, auf der wir Kultur verhandeln, ist längst zur Arena geworden. Und während draußen die Algorithmen Menschenmassen mobilisieren, kämpfen drinnen die letzten Aufrechten um den Luxus, einander auszuhalten. Das bedeutet: Der Raum, in dem Menschen ihre unterschiedlichen Meinungen aushalten, muss aktiv geschaffen, gepflegt und regelrecht verteidigt werden. Kati Trempler - Foto: Trempler Diese Kulturtechnik des Miteinanderauskommens scheint zu verkümmern – nicht nur auf der Straße, sondern auch im Parlament. Aus der Freude am Diskurs wird ein Kampf um das Erreichen einzelner Menschen, während Social Media schlicht alle erreicht. Mit lauten Informationen werden Menschen irritiert, verwirrt und vielleicht sogar von ihrer Haltung entfremdet – so sie denn eine hatten. Was wir erleben, ist ganz klar: Je mehr Informationen wir uns ausgesetzt sehen, desto weniger wissen wir. Daraus wächst Unsicherheit, aber keinesfalls eine eigene Haltung, neues Wissen oder gar eine evidenzbasierte Überzeugung. Um es mit Eva Menasses Worten zu sagen: Es wächst blinde Skepsis, also eine Haltung gegen alles und jeden. Es folgt eine irrationale Stimmung. Vertrauen sinkt. Experten gibt es nicht mehr. Wir mobilisieren Menschen, aber wir wissen nicht wohin. Vielleicht dorthin, wo es laut ist, wo es Stimmen braucht, weg vom ernsthaften Diskurs vis-à-vis. Doch was wollen die Menschen in einem Raum, der das Gesicht des Gegenübers anonymisiert. Es ist ein Raum, in dem hemmungslos kritisiert werden kann – denn im Zweifelsfall kann nichts passieren. Eine kritische Nachfrage stört nicht, denn ich schalte im Ernstfall einfach das Handy aus. Aber wie wäre es, wieder zusammenzukommen – in einen echten Raum mit Sofas und Holzfußboden. Lasst uns dort aushalten, dass unsere Wahrnehmungen und Interpretationen, unsere Wirklichkeiten verschieden sind. Einer der wenigen Räume, in dem das möglich ist, ist der Kulturraum. Dort zählt die Ambiguitätstoleranz, also das Aushalten der Unterschiedlichkeit als Währung. Nur hier kommen Menschen zusammen, die wissen, dass ihre einzigartige und streitbare Haltung im Grunde das ist, was das Bild vollständig macht. Erst kürzlich erlebte ich bei einer Vernissage in der Färberei, dass Bilder als Anlass wahrhaftiger Kommunikation genutzt wurden. Obwohl wir alle ganz bewusst unsere eigenen Interpretationen im Raum kundtaten, hielten wir die Unterschiedlichkeit aus. Lasst uns auch in allen anderen Räumen des Lebens unsere Perspektiven zusammenführen. Lasst uns die beinahe unerträgliche Gefahr eingehen, dass die Interpretation des Anderen mehr Sinn ergeben könnte als die eigene. Vielleicht ist das die eigentliche Pointe: Kultur ist kein Schonraum, sondern ein Übungsfeld für Widerspruch. Wer Haltung fordert, muss auch den Mut haben, sie zu riskieren. Vielleicht braucht es gerade jetzt weniger Empörung und mehr die leise, hartnäckige Bereitschaft, den Raum für den Anderen offen zu halten – auch wenn es weh tut. Denn nur so bleibt Kultur lebendig: als ständiges Ringen um das Gemeinsame, das immer wieder neu erfunden werden will. Das Resultat ist eine kultivierte Unsicherheit. Keine bedrohliche, die aus der Überforderung kommt, sondern eine Unsicherheit, die Wachstum und Entwicklung bereithält. Feedback gerne an ➜ kolumne@fnwk.de Kati Trempler ist 42 Jahre alt, zweifache Mutter und lebt seit elf Jahren in Wuppertal. Sie ist seit Anfang des Jahres Geschäftsführerin der Färberei – Zentrum für Integration und Inklusion. In Ostdeutschland geboren, beschäftigt sie sich naturgemäß mit Beispielen gelungener Integration und Inklusion. Kürzlich wurde sie erste Vorsitzende von )) freies netz werk )) KULTUR und freut sich, ihr Engagement für die Kunst- und Kulturszene Wuppertals einzubringen. 245