Kultur als Triebfeder der friedlichen Verwirklichung Es ist wichtig, Menschen, die Kultur nicht als Privileg begreifen, dazu zu bringen, dennoch an ihr teilzuhaben // 28. August 2025 Von Kati Trempler Das Streben nach dem Höheren als Ziel ist zu diffus, als dass es im Fokus steht – und wenn ich vom Höheren schreibe, habe ich nichts Geringeres als den Frieden im Sinn. Diese Gedanken bahnen sich ihren Weg, wenn ich die Meldungen aus Gaza Stadt in den Nachrichten lese. Möglicherweise erscheint dieser Krieg in 3000 Kilometer Entfernung für viele Menschen in ihrer alltäglichen Realität sehr entfernt. Kati Trempler - Foto: Line Beckmann Doch ist er ganz konkret unter uns: Etwa, wenn das Kunstwerk eines israelischen Künstlers aus der alten Glaserei gestohlen wird. Ausgerechnet eine Skulptur, die für Toleranz, Perpektivwechsel und Verständigung steht. Und wir erfahren den Krieg in all den täglichen Anfeindungen, Demonstrationen – Überlegungen zu dem, was noch sagbar ist. Der Krieg in Gaza steht dabei nur stellvertretend für alle kriegerischen Auseinandersetzungen, die wir momentan weltweit erleben und die uns bedrohen. Kürzlich stieß ich auf einen Satz von Freud, der in einem Briefwechsel mit Einstein schrieb, dass alles, was die Kulturentwicklung fördert, gegen den Krieg anarbeitet. Ohne eine glühende Anhängerin der Freud‘schen Lehre zu sein, inspiriert mich die Sicht, Kultur als Triebfeder der friedlichen Verwirklichung von Menschen zu begreifen. Leider ist diese Wirkung schlecht messbar und die Kausalkette verliert auf dem Weg von Kultur zum Frieden das eine oder andere Glied. Dies ist von Nachteil für die Freie Kunst und Kultur, denn im Gegensatz zu wirtschaftlichen Investitionen, die oftmals direkte Wirkung zeigen, entfalten kulturelle Angebote meist erst über die Zeit und auf verworrenen Wegen ihre Wirkung. Bleibt zu konstatieren: Der Kulturprozess ist nicht immer von Erfolg gekrönt; zumindest nicht unmittelbar. Jedoch gibt es gute Beispiele, die ich ob ihrer Zauberhaftigkeit einmal in den Mittelpunkt rücken möchte: Einmal gibt es diese anrührende Geschichte aus der Tanz Station Barmer Bahnhof, in der Jugendliche zunächst aggressiv auf eine tänzerische Intervention reagierten und nach der expliziten Einladung zum Mittanzen tanzend mit den Künstlerinnen und Künstlern weiterzogen. So verwandelte sich Ärger in Freude und Bewegung. Ebenso anrührend ist die Geschichte zweier Menschen mit einer kognitiven Behinderung, die in der Färberei ihren Safe Space haben, und sich auf der Veranstaltung „Quo Vadis Kunst und Kultur 2025?“ mutig trauten, ihre Forderungen direkt an die Oberbürgermeisterkandidatinnen und -kandidaten zu äußern. Und auf einem Stadtrundgang mit der mobilen Oase in Oberbarmen fühlte sich eine Frau spontan dazu inspiriert, uns ein traditionelles Lied – wahrscheinlich aus ihrem Herkunftsland – vorzusingen. Das war erhebend und verbindend zugleich. Diese Beispiele kann ich unendlich fortführen, weil ich sie fast jeden Tag erlebe. Und es ist wichtig, sich darüber auszutauschen, um herauszufinden, was Menschen, die Kultur nicht als Privileg begreifen, dazu bringt, dennoch an ihr teilzuhaben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sehe ich folgende Merkmale: Es braucht (erstens) Anlässe, die niedrigschwellig, ja vielleicht sogar aufsuchend sind, (zweitens) konkrete Einladungen, (drittens) Zeit, (viertens) eine verständliche (künstlerische) Ansprache und (fünftens) darf es nur wenig kosten. Auf diese Weise kann das Gros der Menschen die alltägliche Geschäftigkeit mit Kulturerfahrung verknüpfen. So wird Kunst und Kultur politisch, da sie Teilhabe fördert und Gesellschaft verändert. Es wäre schön, wenn wir die strukturellen Hürden (beispielsweise Bildung, Sprache, finanzielle Mittel) stärker in unseren Fokus rücken und die Momente in den Blick nehmen würden, die Frieden stiften, sie analysieren, sie nutzen und sie unaufhörlich wiederholen. Feedback gerne an ➜ kolumne@fnwk.de 438