Engels’ rote Socken-Party Von Zara Gayk Hätte mich vor einem Jahr jemand gefragt, was mir zu Friedrich Engels künstlerisch einfällt, wäre nicht viel mehr als ein längeres Schweigen zu vernehmen gewesen. Oder ich hätte mich mit dem Argument in Sicherheit gebracht, zu behaupten, ich sei keine politische Künstlerin, keine Agitatorin, die sich für ideologische Zwecke funktionalisieren lasse — also Rückzug in die Wohlfühlzone. Zara Gayk - Foto: Chiara Gayk Zur gleichen Zeit empfanden wir einen dramatischen kulturellen Notstand, den das Engelsjahr begleiten würde, wenn es keine Initiativen der freien Kunstszene in Wuppertal gibt. In einer Projektgruppe von Freies Netz Werk Kultur beschäftigten wir uns seitdem in einer lebendig gewachsenen Gruppe von Bildenden Künstlern mit der Geschichte der Performance Kunst – von Dada bis Lady Gaga. Veränderung kommt nur durch Irritation, erklärte mir einmal eine Psychiaterin und bezog sich dabei auf die Systemtheorie. Der Schmetterlingseffekt ist ein anschauliches Beispiel für mitunter dramatische Folgen, die ein kleines Ereignis haben kann. Die Künstler können die Welt nicht ändern, aber sie mögen in der Lage sein, den Blick auf die Welt zu verändern. Sie können Irritation auslösen und die Voraussetzungen dafür schaffen, jedermann auf der Straße in den Prozess des Wandels mit einzubeziehen. Denn die Adressaten sollten ja nicht nur kunstelitär vorgebildete Menschen sein. Und jetzt wird es spannend für jede künstlerische Ausdrucksform, die sich angesprochen fühlt, die nächste faschistische Gewalt nicht im Mäntelchen der eifrigsten Verfechter unserer Gesetzeswerke daherkommen zu lassen. Diese berufen sich schon mal vorsorglich auf die strikte Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit. Denn Gesetze lassen sich bekanntlich mit den passenden Mehrheiten schaffen oder ändern. Auf die Einhaltung der verabschiedeten Vorschriften wird mit Unerbittlichkeit hingewirkt werden. Kommt Ihnen das bekannt vor? Ist das nicht ein sehr ähnlicher Prozess, der uns vor hundert Jahren ins Dritte Reich führte? Wie war das nochmals mit Engels und Marx? Traten sie nicht für die Menschenwürde ein? Die Analyse der katastrophalen Lebensverhältnisse in breiten Gesellschaftsschichten waren der Antrieb dafür, Gerechtigkeit und ein würdiges Leben für alle zu fordern. Und sind das nicht genau die gleichen Forderungen, die uns heute wieder antreiben? Hinzugekommen sind Themen wie Ökologie und Nachhaltigkeit, die uns noch vor dreißig Jahren wie Luxusbesprechungen vorkamen und heute in der Diskussion um den Klimawandel zu den elementaren Bausteinen unseres Überlebens auf diesem Planeten avanciert sind. Kommen Ihnen auch Fragen in den Sinn, die nach Antworten rufen? Und was passiert, wenn die Antworten, die von Engels und Marx vertreten wurden, die Ideale der Freiheit, plötzlich wieder von nationalistischen Eigentümeleien entsorgt werden? Jetzt wird mit den Protagonisten der politischen Rechten die Abkehr von den Hilfsangeboten für Bedürftige propagiert und den angeblich volkseigenen Interessen untergeordnet. Gehört Humanität auf den Müllhaufen der Geschichte? Die Zeit ist gekommen, die Stimme zu erheben, damit wir es uns immer noch aussuchen können, wie wir morgen leben wollen. Kunst macht keinen Klassenkampf. Doch Kunst öffnet die Sinne für Veränderung. Und in diesem Sinne wollen wir mit Engels sein Geburtstagsjahr gestalten. Machen Sie mit? 2813 Weitere Informationen WZ KolumneDiese Kolumne in der Westdeutschen Zeitung