Die Kunst zu Fehlen: Fehler als Chance Von Uta Atzpodien und Tobias M. Freitag Nicht immer läuft alles glatt. Manchmal macht man Fehler. Wir können mit ihnen pragmatisch umgehen, sie erkennen, eingestehen, korrigieren, anders nutzen und neu beginnen. Häufig zeigt sich jedoch eine gewisse Furcht vor Verantwortung, eine Angst, Fehler zu begehen. Warum? Der Fehler wird als Scheitern wahrgenommen. Wir fürchten das Versagen. Missverständnisse und Konsequenzen könnten entstehen, unerwartet und vielleicht auch unkontrollierbar. Viel zu oft werden Fehler benutzt, um Mitmenschen, Kolleginnen oder Kontrahenten zu blamieren, sie zu diskreditieren. Als Abweichung führen sie schnell zu Ausgrenzung. Die Angst vor Bloßstellung lähmt den Mut, zu handeln und Neues zu wagen. Blockade und Stillstand können die Folge sein. Wir kennen das aus dem eigenen Umfeld, auch aus Gesellschaft und Politik. Uta Atzpodien, Tobias M. Freitag - Foto: V. Bogner „Ever tried. Ever failed. No Matter. Try again. Fail again. Fail better.“ Mit seinen Worten rückt der irische Schriftsteller Samuel Beckett Fehler und Scheitern in ein alltägliches, nahezu heiteres, spielerisches Licht. Der Dramatiker vermittelt, dass die menschliche Erfahrung des Fehlermachens zum Handeln ebenso dazu gehört wie das Nichtverzagen und Weiterentwickeln. Letzte Woche wurde in der Citykirche das neue interdisziplinäre und genreübergreifende Kunst-Festival „Assoziationen“ unter der Leitung von Werner Dickel eröffnet. In ihrer Vernissage-Rede zu den Bildern der vielseitigen Künstlerin Birgit Pardun zitierte Anne-Kathrin Reif die Worte Becketts. Ähnlich wie in der frei improvisierten Musik entstehe die Malerei im Prozess, der nicht planbar sei, das Ergebnis nicht vorherzusehen. Das Resultat habe anders als in der frei improvisierten Musik Bestand, sei nicht flüchtig, sondern erfordere „gleichermaßen Vertrauen in die eigene Intuition und Fähigkeit, wie den Mut zu scheitern“. Kunst schließt die Möglichkeit per se ein, Fehler zu machen und auch zu scheitern. Gerade darüber entsteht Neues und ihre berührende Lebendigkeit. Einige Hunderte Kilometer von Wuppertal entfernt begegnen wir auf einer Familienfeier dem Fehler als Lebensthema. In einer kleinen evangelischen Kirche in Oberfranken bereitete letztes Wochenende ein Beichtgottesdienst die Konfirmationsfeier vor. Engagiert legte der charismatische Pfarrer den Jugendlichen das ans Herz, was Menschen brauchen, um Fehlern begegnen zu können: Mut, Ehrlichkeit, Offenheit und innere Größe. Selbst Verantwortung zu übernehmen, möchte er ihnen vermitteln, um so ins Leben zu schreiten. Fehler können Wege zur Lösung weisen. Der Performer Roland Brus der Mobilen Oase Oberbarmen erinnert an ein Theaterprojekt mit Obdachlosen in Berlin, nennt es „Einbruch des Realen“. Lichtausfall: Bei den Proben gibt es einen Fehler im elektrischen System. Doch in der Dunkelheit entstehen starke und berührende Theaterszenen, die wie eine Stille Post bewegende Momente von Nähe und Intimität erschaffen, Menschen zusammenführen. Mit Joseph Beuys — „Jeder Mensch ist ein Künstler“ — üben wir im Leben die Kunst, Fehler als Chance zu betrachten. Im Bemühen um einen kontinuierlichen gesellschaftlichen Wandel wird der Fehler zur Möglichkeit und Ressource. Weniger Angst als Lust, Freude und eben innere Größe können eine Kultur prägen, die transparent und offen mit dem Fehler und dem Fehlen umgeht. Schauen wir gelassen auf das, was schiefgelaufen ist, und dann auf das, was uns weiterbringt. vorheriger Artikel Herzenskultur auf allen Ebenen 5197 Weitere Informationen WZ KolumneDiese Kolumne in der Westdeutschen Zeitung