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Ein Sommer voller Ausreden?

Nicht locker lassen, denn die Gegenwart hat niemals frei // 25. Juni 2025

Von Max Christian Graeff

„Alles nicht so schlimm“, rufen die Amseln, als ich zwei Meter Thujahecke einseitig fast auf den Stock schneide, „es hat vermutlich einen Sinn; er wird schon wissen, was er tut“. Das möchte ich aus dem empörten Gezeter im Garten gerne heraushören, als ich die Schere beiseitelege, um erstmal wieder Nachrichten zu schauen: Wie stehts im Nahen Osten; wer ist am Zug? Und wo ist die Ukraine hin, wo Gaza, der Sudan? Viel weiter unten, im Ranking abgestürzt. Wie schnell wir doch Kriege vergessen, wenn ein neuer brennt. In der Grundschule nebenan beginnt eine Feuerübung; vor dem penetranten Alarm fliehen sogar die Vögel, doch nicht mehr in den Thuja wie sonst. Ob mir ihre Kinder verzeihen, nächstes Jahr? Die „Verheißung des Sieges“ traf ins Leere; Trump gratuliert der Welt zur Zeit des Friedens, und schon stürzt der Goldkurs ab. Habe ich heute schon Petitionen unterzeichnet? Es sind so viele; gibt’s denn dafür keine App?

Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini
Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini

Im Erdreich unter der Hecke finde ich beim Graben einen Porzellanpfeifenkopf und eine Tellerscherbe mit der Aufschrift „Weihnachten 1888“, Kulturmüll einer alten Aufschüttung. Authentisch ist an Preußens ältester Bahntrasse westlich der Steinbeck nichts mehr, alles umgewälzt und aufgeschüttet, kompostiert aus Leben und Kunst vergangener Gegenwart: Aus jenem Scherbenjahr stammt die älteste bekannte Tonaufnahme, und Bertha Benz fuhr heimlich mit dem Automobil ihres Mannes erstmals außerhalb einer Stadt über Land. In Paris baute man den Eiffelturm und Fontane veröffentlichte den Roman „Irrungen, Wirrungen“, ohne zu ahnen, wie gut der hier in die Kolumne passt. Was man von uns wohl eines Tages finden wird? Noch nie haben wir effektiver daran gearbeitet, dass es niemanden mehr geben wird, der unter der Kruste aus Mikroplastik nach uns suchen kann.

Auch wenn die Tage bald schon wieder kürzer werden, kommen jetzt die Wochen, in denen wir wenig voneinander wissen wollen. Selten war die Ferienreife eine bessere Ausrede: in die innere Tiefsee tauchen, jegliche Neugier abklemmen, „Alles nicht so schlimm“ schreien. Worte mit allzu vielen Buchstaben (“Oberbürgermeisterkandidatinnen“) nur zulassen, wenn sie uns selbst dienen (“Lichtschutzfaktortabelle“). Kurz vorher noch ein paar solidarische Anstrengungen unternehmen: Den Offenen Brief der Freien Kultur Wuppertals unterzeichnen und sich über die drohende Schließung des Café Swane empören. Und dann endlich Ruhe? Ganz sicher nicht!

Abgesehen davon, dass die allermeisten Menschen unseres Planeten per se keinerlei Sommerlöcher und Urlaube kennen, sind diese Tage nicht zum Herumliegen gedacht. Das Räderwerk der Weltenuhr dreht sich unablässig und jede vermeintliche Erschöpfung angesichts behaupteter Hundstage kann nur die faulste aller Ausreden sein. Ob Ausgrabung oder Neuerfindung, Rettung angegriffener Kulturorte oder das Vorspuren zukunftsfähiger stadtpolitischer Diskurse: jetzt – also wie immer, nur halt etwas wärmer – ist die Zeit, zu handeln. Damit auch im nächsten Jahr junge, unerwartete und unberechenbare Kunst und Kultur gegen die Übermacht aus Kommerz, Wohlgefälligkeit und Besitzstandswahrung antreten kann. Gelingen kann das nie, und doch ist es unentbehrlich, denn im Gefüge multipler Krisen, Kriege und mentaler wie handfester Erdrutsche ist jedes Bestehen auf Gewohntes ein Schalten in den Rückwärtsgang. Die Scherbe auf den Gartentisch erzählt von den Versprechungen des Jahres 1888; sie währten nur einen Wimpernschlag und alles kam anders. Noch wissen wir nicht, welche Scherben einst von 2025 erzählen werden. Doch es ist an uns, ob sie jemand findet oder nicht.

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