Der Besuch der alten Dame in Wuppertal 23. Juni 2021 Von Torsten Krug Der Sommer ist da, und man glaubt es kaum. Seit Monaten fieberten wir dem Ende jenes Lockdown light entgegen – bald erscheint die ganze Pandemie wie ein flüchtiger Spuk. Doch wie in einem guten Horror-Film meldet er sich kurz vor dem Abspann zurück, und wir alle wissen: er ist nicht vorbei. Ganz abgesehen von dem Elend, das sich jetzt in den ärmeren Weltregionen ereignen wird. Denn auch das hat die Pandemie wieder deutlich markiert: die Spaltung zwischen arm und reich. Torsten Krug - Foto: Andreas Fischer Wir in Wuppertal haben das Glück, in einem der reichsten Länder der Erde zu leben. Da lassen sich lockdowns überhaupt erst finanzieren. Allein für den Kulturbereich hat der Bund mittlerweile 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Dies meldet der Deutsche Kulturrat. Dazu kommen die Hilfen der sechzehn Bundesländer und die Unterstützung durch die Grundsicherung. Diese Gelder von Bund und Land konnten einen Teil der Existenzbedrohung für Künstlerinnen und Künstlern abfedern. Auch Kulturorte profitieren davon und stehen – was Investitionen anbelangt – mancherorts besser da als vor der Pandemie. Das Ausschütten von Förderungen – das Bild sagt es schon – ist zunächst ein Akt der Verwaltung von oben. Das hat der Kunst in ihrer Geschichte nicht immer geschadet. Ohne die Fürstenhöfe, die in ihrer Repräsentations-Sucht miteinander konkurrierten, hätte sich nie unsere reiche Theaterlandschaft gebildet. Dem gegenüber stehen oft über Jahrzehnte gewachsene Strukturen, Graswurzelbewegungen engagierter Menschen, die schon immer flexibel mit Geld umgehen mussten, wollten sie nicht verkümmern. Doch was bedeutet es, wenn das Geld plötzlich da ist, die Ideen und die gewachsenen Strukturen nicht? In Dürrenmatts Erfolgsstück „Der Besuch der alten Dame“ führt deren unmoralisches Angebot zur Kannibalisierung der Dorfbewohner, genauer: sie rotten sich zusammen gegen ein gemeinsames Opfer, den ehemaligen Geliebten der Milliardärin Claire Zachanassian. Denn nur für dessen Tod – eine späte Rache – erblüht das Dorf in ungeahntem Reichtum. Wuppertal hat die Zusage für eine Unmenge Geld erhalten. Überall in der Stadt sollen damit Open-Air-Veranstaltungen ermöglicht werden. Den ganzen Kultursommer lang. Doch: dieser Sommer ist bereits da. Wie umgehen mit diesem Geld? Es ist wunderbar, dass die Stadt es eingeworben und den Zuschlag für ihren Antrag erhalten hat. Möglicherweise haben einige dennoch gehofft, es möge nie kommen. Nachhaltiger und notwendiger als dieses abzufackelnde Feuerwerk wäre eine regelmäßige Förderung der Kulturszene in den kommenden Jahren. Eine von oben verwaltete Bespielung von aufgestellten Bühnen macht noch keinen Kultursommer. Was jetzt gefragt ist: Die Ideen von unten, die Erfahrung derer, für die das täglich Brot ist: Kunst machen, Veranstaltungen planen, Ereignisse schaffen, ihre Orte bespielen und Räume mit Leben füllen. Die vielen Kulturorte und Kulturvereine in Wuppertal kennen ihr Publikum, ihre Künstlerinnen und Künstler, haben die Expertise im Verwalten von Geldern und schaffen individuelle Kulturereignisse. Sie könnten diese Chance zum Erfolg führen. Doch die Kapazitäten der Szene sind vielfach erschöpft. Die Welle an nachzuholenden Veranstaltungen rollt an. Es wird eine Mammut-Aufgabe, diese Kräfte zu bündeln und produktiv zu machen. Noch bis zum 30. Juni können sich Kulturschaffende unter ksw.utoppiastadt.eu bewerben. Möge es gelingen. Wuppertal ist nicht Güllen. Anregungen und Kritik: kolumne@fnwk.de 2450 Weitere Informationen WZ KolumneDiese Kolumne in der Westdeutschen Zeitung