Jetzt erst recht! Arbeit an der Zukunft Solidarität und Freiheit, von innen nach außen // 6. Mai 2020 Von Uta Atzpodien „Wie wollen wir leben?“ Über nächtliche Häuserfassaden unser Stadt lässt das Künstlerkollektiv RaumZeitPiraten diese Worte wandern, tanzen, projiziert von einem Küchenfester aus. Im Kommunikations-Netz der Sozialen Medien kommentieren sie: „whats next? back to normal? back to big cars? big money? big ego? big bloat?“ Ihre Guerilla-Grüße aus der Selbstisolation verbinden sich für mich mit einer kürzlich gelesenen Einsicht: „Mit der Antwort auf die Frage, wie wir mit dieser Pandemie umgehen, wird sich entscheiden, in welcher Zivilisation wir leben. Denn wir werden dadurch allen anderen klar machen, in welcher Zivilisation wir leben wollen.“ Den Bochumer Philosophen Daniel-Pascal Zorn erwähnte im kleinen Kreis der kulturpolitische Reporter Peter Grabowski, der pragmatisch engagiert in verschiedenen Foren für die Belange und vor allem die Information der Kunst- und Kulturszene mitsamt der freiberuflichen Kunstschaffenden Präsenz zeigt. Uta Atzpodien - Foto: Ralf Silberkuhl Die Notsituation betrifft uns alle: das Ausfallen oder Verschieben von Proben, Veranstaltungen und Aufführungen, das Ringen um die schnell gestrickte, wenig eindeutige, einheitliche und vor allem nicht alle erreichende, dauerhaft ausreichende Soforthilfe für soloselbstständige Künstlerinnen und Künstler. Die Möglichkeit, Arbeitslosengeld oder Grundsicherung zu beantragen, mag zwar übergangsweise helfen, ist für einige nicht möglich, kann keine Lösung sein. Zu selten ist mir die Systemrelevanz von Kunst & Kultur im Fokus oder im Weitblick. Trotz all der existenziellen Ungewissheit – oder vielleicht auch durch sie – wenden wir uns jetzt erst recht einer Arbeit an der Zukunft zu. Was heißt das? Lokal: Jüngst entstand mit dem „EinTopf“, ein Solidarfonds für Kulturschaffende. Künstler bringen mit „Out and about: Kunst geht raus“ ihre Kunst auf Plakatwände in die Stadt. In David J. Bechers Stream-Sendung „Dem der liebe J. sein Morgengruß“ kommen jeden Mittag um 12 Uhr auf dem Portal Stew.one Persönlichkeiten zu Wort: Geschichten für ein Kaleidoskop der Zukunft. Letzten Freitag zeigte der DGB-Livestream „#SolidarischNichtAllein“ diesmal nicht auf der Straße, sondern digital bewegte Menschen, darunter zahlreiche Künstlerinnen, Künstler. Zukunftsweisend ist auch der Wert der Arbeit. Für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund rezitierte Kolumnenkollege Max Christian Graeff das Gedicht „Liberté“ von Paul Éluard, prägnant endend: „Ich lebe, um Dich zu kennen, um Dich zu nennen, Freiheit.“ Doch was bedeutet Freiheit als Wert für unsere Arbeit an der Zukunft? Die Coronakrise wird zu einem Brennglas, umschreibt es Milo Rau, bekannt für sein politisch und emotional engagiertes Dokumentartheater, das dahin schaut, wo andere wegblicken. Denkbar wird, was unmöglich schien, ob Regulierung des Asylverfahrens, bedingungsloses Grundeinkommen, Verstaatlichung von Konzernen, Stillstand unserer hypermobilen Gesellschaft. Das, was sich konkret verändern kann. Für ihn zeigen sich die Auswirkungen aktuell als real aufleuchtende goldene Utopie. Hier im Tal starten wir diese Woche via Stew.one das „Zukunftslabor Kunst & Stadt“, das als Kompass und Landkarte aufzeigen möchte, wie viel Wert und Zukunft in den engagierten Kunstorten und -akteuren unserer Stadt pulsieren, wie wichtig sie sind und sein werden: Für unsere Stadtgesellschaft und für die Arbeit an einer lebenswerten Zukunft. Im gefühlten Stillstand lässt sich hautnah spüren, wie relevant ihre Lebendigkeit für unser System und seine Zukunft ist. 2662 Weitere Informationen WZ KolumneDiese Kolumne in der Westdeutschen Zeitung