Keine Transformation in Sicht irgendwann wird die Kunst auch wieder in der Gegenwart ankommen // 2. Februar 2022 von Peter Klassen Man muss sich keine Sorgen um den Zustand der Kunst machen: die Künstler und Künstlerinnen arbeiten sowieso. Sie gehen Tag für Tag in ihre Ateliers, in ihre Proberäume und Schreibstuben. Immer wieder aufs Neue versuchen sie das zu erreichen, was sie sich selbst vorgenommen haben. Versuchen hinter die Geheimnisse des Lebens zu kommen, neue zu entdecken und der Welt etwas hinzuzufügen, was es so noch nicht gibt. Und das auf ihre ganz individuelle Weise mit Kunststücken. 1000 Blumen blühen da, tagtäglich, meist im Verborgenen. Peter Klassen Von Zeit zu Zeit muss die Kunst dann dieses geschützte „Biotop“ verlassen und erproben, ob das Gefundene nur für sie selbst wichtig ist oder sogar auch für andere Relevanz hat. Am besten geschieht das in Freiräumen, die Mäzene, ein paar Enthusiasten oder die Gesellschaft zur Verfügung stellen. Eine Handvoll privater Galeristen in Wuppertal geben der Kunst den Freiraum, den sie braucht. Es gibt also großartige Ausstellungen und einen herausragenden Skulpturenpark. Kunst braucht Öffentlichkeit. Nicht nur dann, wenn man mit dem „Strategischen Leerstand“ im Einzelhandel nichts anderes anzufangen weiß. Kunst darf kein Notstopfen und Lückenbüßer für die Sünden der Städteplaner sein. Und sie sollte auch nicht erst dann eine Rolle spielen, wenn die große Transformation uns über Nacht erreicht hat. Wie viele Tage waren es noch mal bis dahin? In der Zwischenzeit zerbröckelt die vierte Säule des Pina Bausch Zentrums, bevor sie irgendwann einmal eine tragende Rolle spielen kann. Der Mensch braucht Trost, aber keine Vertröstung auf die Zukunft. Nach der großen Transformation wird alles anders sein, aber warum sollte es besser werden? Schließlich könnten die politischen Gremien doch schon heute die Künstler und Künstlerinnen ihre Kunst am lebendigen Organismus Gesellschaft erproben lassen. Kunst ist keine Utopie. Es gibt sie ja schließlich schon. Die Kunsthalle Barmen wurde 2020 wieder in die Verantwortung der Stadt Wuppertal übergeben, nachdem sie viele Jahrzehnte als Dependance des Von der Heydt-Museums diente: Ein Ort, der regelmäßig auch für und von der Kunstszene Wuppertals wieder bespielt werden könnte. Woran hapert es eigentlich? Das Geld kann es nicht sein, davon wird in der Zukunft schon so viel verplant. Es muss also irgendwo da sein. Es ist verständlich, dass das Von der Heydt-Museum sich auf seine ureigenste Arbeit konzentriert, aber man kann in einer gelungenen Ausstellung nebenbei auch die Bedeutung der Kunsthalle für etliche der Künstler der „Brücke“ und des „Blauen Reiters“ entdecken. Ja, sie haben ihre Auffassung einer neuen Malerei und eines neuen Sehens schon in den Anfängen des 20. Jahrhunderts dort ausstellen können, lange bevor die Kunstgeschichte ihren Segen dazu geben konnte. Kunstbeseelte, großzügige Bürger und Mäzene Wuppertals bauten diese „Ruhmeshalle“ für die Kunst, auch für die nicht immer bequeme Auseinandersetzung mit neuen Ideen. Kunst ist lebensnotwendig, für die Gesellschaft, für die Künstler und auch für die Utopien. Irgendwann wird die Kunst auch wieder in der Gegenwart ankommen, nachdem das Kulturbüro nach der gut aufgestellten Jahresschau der Bergischen Kunst im Jahr 2019 nun „anderes zu tun hat“ und aus den Hinterzimmern der Verhandlungen mit Investoren über die Zukunft der Kunsthalle noch nichts nach außen gedrungen ist. Oder habe ich etwas nicht mitbekommen? Das würde mich beruhigen. Ihre Meinung wie immer an: kolumne@fnwk.de Peter Klassen Ausstellungsmacher, Designer, intermedialer Künstler. Tun was zu tun ist. www.peter-klassen.de 1823