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Tief durchatmen, liebes Wuppertal!

Von Uta Atzpodien

Als Zuviel haben sich in meinem Leben etliche Erinnerungen, Bilder und Momente eingebrannt. Mit einem Rausch können sie beginnen. Dann überfordern sie einfach. Ich sehe ein Kettenkarussell meiner Kindheit vor mir, das sich immer rasanter dreht und dessen Fahrt, dessen Flug sich zu überschlagen droht. Feste, ob mit Familie oder Freunden, reich gedeckten Tafeln, viel Alkohol und exzessiver Feierlust tauchen auf. Endlose Autokolonnen stehen, stocken, verpesten die Luft, auf Autobahnen quer durchs Land, hier direkt auf der A46 oder mitten in der Stadt, in Wuppertal.

Uta Atzpodien - Foto: Ralf Silberkuhl
Uta Atzpodien - Foto: Ralf Silberkuhl

Voll kann es werden: Auf Gemälden von Bruegel, den legendären Wimmelbildern der eigenen oder Kindes-Kindheit, bei ausufernden Museumsbesuchen oder auf den Wellen der Informationsflut der digitalen Medien. Die eigene Betriebsamkeit tut das ihre, mit Terminen, Telefonaten und all dem, was der Tag nicht nur für freischaffende Künstlerinnen und Künstler bieten kann, all das, was noch zu erledigen ist.

Doch was wäre das Leben ohne Gegensätze und Widersprüche? Wir scheinen sich ergänzende Pole zu brauchen. Wer kennt das nicht? Die wohltuende Ruhe nach dem Sturm oder ganz einfach die Pausen zwischendurch. Das erinnert mich an einen inspirierenden Kurs in der Junior Uni, indem wir als Forscherinnen und Forscher zu „Pausen-Profis“ wurden. „Einfach auch mal nichts tun“ kann mehr bewirken als die übliche Geschäftigkeit. Das schlichte Betrachten, langsame Bewegen, Hören, Zuhören oder auch (Be-)Schreiben können zu einem Experiment, einem erfrischenden Abenteuer werden. Es schult die Aufmerksamkeit und alles gestaltet sich neu, wird anders.

Und jetzt beginnt das Fasten, Kulturen und Religionen übergreifendes und verbindendes Ritual, eine Zeit der Besinnung und sogenannten Buße. Wie wäre es, wenn diese 40 Tage nicht als Verzicht, auf Fleisch, Alkohol, Süßigkeiten, SMS oder Autos, sondern mit dem Weniger und Anders eher als Chance und Bereicherung verstanden würden? Wie wäre es, die Fastenzeit einfach umzustülpen und die daraus entstehenden Freiräume genussvoll als eine Expedition zu verstehen? „40 Tage. Du und dein Wuppertal“ heißt es für das Autofasten 2019 in Wuppertal.

Von einer bemerkenswerten Kreativität in der Stadt schwärmt die renommierte Kulturwissenschaftlerin Hildegard Kurt, die sich schon lange mit Ästhetik und Nachhaltigkeit beschäftigt. Etliche Unternehmungen verbinde hier, dass sie ohne fertige Konzepte innere Freiräume bewahren, sich selbst reflektieren, aufeinander einstimmen und so Prozesse ermöglichen. Schon vor ein paar Monaten war sie als Teilnehmerin der Bergischen Klimagespräche durch Kunst- und Kulturorte der Stadt unterwegs. Letztes Wochenende ist sie mit ihrem Vortrag „Die neue Muse. Hin zu einem schöpferischen Wir“ und ihrer „Lebendigkeitswerkstatt“ zurückgekommen. So erfrischend kann der Blick von außen sein: Zukunftsfähigkeit braucht Lebendigkeit und scheint genau dort anzusetzen, wo innere Freiräume entstehen, Pausen, ein Durchatmen, Reflexion und Bewusstsein. Dann, wenn nicht immer klar ist – wie bei künstlerischen Prozessen per se – worauf alles hinausläuft. Dann, wenn das Zuviel und die Überforderung aufrufen, einen stimmigen und zukunftsfähigen Weg zu finden. Als gemeinschaftliches Ritual lädt uns jetzt die Fastenzeit 40 Tage zu einem weiteren Experiment, einem Abenteuer oder Reallabor ein: Tief durchatmen, liebes Wuppertal!

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