Kunstschaffende aller Länder, vereinigt euch 30. April 2024 Von Tine Lowisch „Wir könnten, sofern wir wollen, nicht mehr nur Kunden, sondern Mitverantwortliche unserer Vergnügungen sein.“ So endete die Kolumne des geschätzten Kollegen Max Christian Graeff an dieser Stelle vor einer Woche. Hier stimme ich aus ganzem Herzen zu und möchte da gerne noch ein bisschen weiterdenken, denn Vergnügungen sind tatsächlich sehr vielfältig und einen Anspruch darauf gibt es nicht. Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp Genauso wenig wie einen Anspruch auf ein gesichertes, gutes Leben. Alles muss immer wieder neu verhandelt und mutig erstritten werden. Tanzen wir also in Zukunft nicht mehr vergnügungssüchtig in den Mai, sondern lieber mit verantwortungsbewusster Ausdauer für die Kunst der Freiheit auf der Straße. Sonst sind wir (frei nach Pina Bausch) bald wirklich verloren. Die Kunst als urmenschliche Geste unterbricht das aktive Verhältnis zur Welt für einen kurzen Augenblick und verankert den Menschen in der Gegenwart immer wieder neu. Auch in eine Gegenwart, in der sich die Spannungen zwischen den Mächtigen auf einem historischen Höhepunkt befinden. Dies braucht so viel mehr Bewegung in den Gedanken … denn es geht nicht nur darum, wie ich mich bewege, sondern was mich bewegt. Gerade wir Wuppertaler und Wuppertalerinnen sollten nach 50 Jahren Tanztheater doch wissen, dass Tanz auch Arbeit ist, gepaart mit der Angst vor dem Unvorstellbaren, die ja der eigentliche Inhalt einer diffusen Angst ist. Geschichte ist das, was erzählt wird und die Wahrheit muss schon stimmen, sonst werden immer wieder die gleichen Fehler gemacht; immer wieder, wiederholt und immer weiter verstärkt. Bei seinem Besuch auf der Biennale in Venedig, der ältesten internationalen Kunstausstellung für zeitgenössische Kunst, hat Papst Franziskus letzten Sonntag einen eindringlichen Appell in die Geschichtsbücher für die Menschenrechte geschrieben: Alle Kunstschaffenden aller Länder sollten sich vereinen, „um die Welt von sinnlosen und leeren Antinomien zu befreien, die im Rassismus, in der Fremdenfeindlichkeit, in Ungleichheit, ökologischem Ungleichgewicht“ oder in der Feindseligkeit gegenüber Armen versuchten, die Oberhand zu gewinnen, so das katholische Kirchenoberhaupt. Und der Papst geht noch weiter: „ Ich gestehe Ihnen, dass ich mich neben Ihnen (den Kunstschaffenden) nicht wie ein Fremder fühle: Ich fühle mich zu Hause. Und ich denke, das gilt eigentlich für jeden Menschen: Die Kunst hat schließlich in jeder Hinsicht den Status einer „Stadt der Zuflucht“, einer Stadt, die sich dem Regime der Gewalt und der Diskriminierung widersetzt, um Formen menschlicher Zugehörigkeit zu schaffen, die in der Lage sind, alle anzuerkennen, einzubeziehen, zu schützen und alle zu umarmen. Alle, angefangen bei den Letzten.“ Wenn sich jetzt im Zuge der Digitalisierung, der 4. Industriellen Revolution, alle Fehler im System, alle Unterlassungen der Vergangenheit durch Wiederholung verstärken und sich die Künstliche Intelligenz aus diesen Auslassungen speist, wird es immer schwerer werden, die Wahrheit, oder das, was wir dafür halten, wiederzufinden. Einstweilige Vergnügungen brauchen eine neue künstlerische Praxis, eine ohne Anpassungsclownerei, ohne naive Maskenheiterkeit oder scheinbare Munterkeit. Also: Kunstschaffende aller Länder, vereinigt euch, lasst keinen „Matilda-Effekt“ mehr zu (Die systematische Herabsetzung von Frauen in Bezug auf ihren Beitrag in den Wissenschaften, benannt nach der amerikanischen Frauenrechtlerin Matilda Gage), denn die Künstliche Intelligenz sammelt bekanntlich nur die genannten Errungenschaften der Menschheit ein. Ihre Meinung an: kolumne@fnwk.de vorheriger Artikel Vom Soll und Haben unserer Kultur 580