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Wenn das Kunst ist, kann das nicht weg

Über die Relevanz der Kunst in der Krise.

Von Tine Lowisch

Heute sage ich es einfach nochmal und zitiere mich damit selbst (aus dem Buch: Der lange Marsch, Atelier- und Galerie-Kollektiv für intermediale Zusammenarbeit 1976 - 2016 hrsg. von Peter Klassen): „Der Wandel, der sich im Moment offensichtlich in unserer Gesellschaft vollzieht, ist vielversprechend. Vielleicht auch, weil die Krisenherde zur Normalität geworden sind und die sogenannte Normalität immer neue Krisen hervorbringt, versprechen wir uns von unseren lokalen Bemühungen, dass wir durch unser Tun den Menschen wieder zur Kunst bringen. Zur Kunst gehen heißt, von Künstlern zu lernen. Und da nicht jeder Mensch ein Künstler ist, genauso wie nicht jeder Arzt oder Astronaut, müssen wir erst einmal wieder neu zur Einsicht kommen und uns fragen: Wie geht der Mensch mit Freiraum um?“ Mal ganz abgesehen davon, dass diese, meine Sätzchen nun schon einige Jahre alt sind, frage ich mich, ob ich es damals nicht hätte eindringlicher formulieren sollen. Vielleicht einen Hauch rebellischer?

Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp
Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp

Im Grunde ging es meinem Mann und mir, als wir unseren Kunstraum als Projekt starteten, darum, ungewöhnliche Beobachtungen als Chance für ein Umdenken in eine Sprache zu übersetzen, die jeder versteht: In die Sprache der Kunst – die natürlich und das ist gar nicht so schwer, immer erst die Gefühle der Menschen erreichen muss, um überhaupt vermitteln zu können.

Wir hätten zum Beispiel anstatt der Kunststation im Bahnhof Vohwinkel ebenso gut auch eine Boutique in Wuppertal eröffnen können. Mode vermittelt im Grunde genauso wie die Kunst zwischen zwei menschlichen Grundbedürfnissen: zwischen schmuckem Stolz und beschämendem Vorurteil. Unsere Boutique hieß dann vielleicht: clever und campy (campy: beschreibt eine besondere Erlebnisweise, über die man eigentlich nicht spricht, die die Welt als ästhetisches Phänomen betrachtet). Allein um die Lebenserhaltungskosten gering zu halten, bin ich zum Beispiel sehr gerne die dankbare Adresse für expressive, klassische Fehlkäufe der mich umgebenden Verwandtschaft. Da halten wir nicht erst seit Corona zusammen. Die Rollen in der Familienaufstellung sind lange verteilt: Ich bin die Künstlergattin, ich kann das tragen.

Und da sind wir wieder bei der Betrachtung der Kunst in Zeiten der Krise, die im Moment, glaube ich, ihrer über Jahrzehnte lässig zur Schau gestellten Unantastbarkeit selbst nicht mehr traut. Zumindest überprüft sich die gesamte Kunstbranche als Wirtschaftsfaktor gerade selbstkritisch – es ist für alle schwer. Dabei ist das doch gut, denn systemrelevant bleibt die Kunst auf jeden Fall, solange ihr Eigenleben weiterhin anerkannt wird, da sie uns ja unbestritten mit transzendenten, nachwachsenden Strategien grundversorgt. Also: Wenn das Kunst ist, kann das nicht weg.

Der Kunst muss weiterhin vertraut werden, auch wenn Vertrauen immer ein Stück weit voraussetzt, dass ein Gefühl von Verunsicherung besteht. Vielleicht ist im Moment aber genau das Gefühl der Verunsicherung die Illusion? Vielleicht unterdrücken wir unseren menschlichen Impuls uns gegenseitig zu vertrauen, unsere große menschliche Kraft, ja im Moment nicht, wenn wir physisch auf Distanz gehen. Vielleicht lernen wir es dadurch sogar noch einmal richtig zu schätzen, die Freiräume zu erkennen, zu verteidigen und angemessen zu nutzen. Mindestens eine Elle Abstand war lange vor Corona ein vereinbartes Zeichen von Wertschätzung. Ich wünsche mir diese Etikette zurück, sie würde mir sofort helfen. Wir haben sie ja leider nur durch eine gewisse Distanzlosigkeit, die sich eingebürgert hatte, vergessen.

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