Herzenskultur auf allen Ebenen Christian von Grumbkow Kürzlich bekam ich ein Knöllchen. Vor einer Wuppertaler Galerie hatte ich falsch geparkt. Ich war in einem kurzen Gespräch mit der Galeristin. Es ging um die finanzielle Unterstützung der Arbeit mit Kindern auf unseren Straßen, eine „Charity-Aktion“, wie auch kürzlich in der Kolumne von Tine Lowisch angesprochen. Das Projekt unterstützt in unserem Fall die Arbeit der Achtsamkeitsgruppe der Alten Feuerwache. Beim Verabschieden beobachtete ich, wie eine junge, blonde, frühlingshaft gekleidete Frau mein Knöllchen von der Windschutzscheibe nahm und es hinter den Scheibenwischer ihres eigenen falsch geparkten Autos heftete. Sonst eher gelähmt bei solchen Übergriffen, reagierte ich geistesgegenwärtig und stellte die Dame zur Rede. Christian v. Grumbkow - Foto: Susann Pfeiffer Die Galeristin erzählte mir auch noch von einem Zwischenfall, bei dem eine Gruppe von acht Kindern und Jugendlichen in die Galerie gestürmt sei. Die in der Nähe der Eingangstür gestapelten Flyer, Einladungskarten und Infos warfen sie durch die Galerie und schrien „Kunst ist doch eh scheiße“. Die Spendenbox war gefährdet. Auch das vor der Tür stehende Auto wurde angerempelt. Warum beschreibe ich solche eher profanen Dinge? Wir Kulturschaffenden machen uns Gedanken zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in dieser Stadt: als Künstler im eher üblichen Einzelkämpfermodus sowie in vielen Initiativen der Freien Szene, unter anderem in dem seit einem Jahr bestehenden Freien Netz Werk Kultur. Es geht darum, Ideen zu entwickeln, verkrustetes Denken und die „Scheißegal-Mentalität“ mancher Mitbürger zu verwandeln. Wir wollen zur Identität der Stadt beitragen und mit liebevollem, kritischen Blick Heimat schaffen. Hier heißt es, angesichts der bedrohlich-betrüblichen, oben beispielhaft beschriebenen Verhältnisse nicht zu resignieren und die bestehenden Seiten unserer Stadt, wie hässliche Leerstände, übelriechende Ecken, verdreckte Bürgersteige und dilettantische Graffiti weder auszublenden noch hinzunehmen. Das gilt auch für die Knöllchen-Aktion der blonden Dame wie für die randalierenden Jugendlichen. Hier kann der künstlerische Idealismus weiterhelfen. So kann das aussehen: Wenn das Umfeld schön und ansprechend gestaltet ist, dann werden bekanntlich weniger Aggressionen ausgeübt. So können sich Ehrfurcht und Achtsamkeit gegenüber Menschen und Dingen entwickeln und nachhaltig wirken. Engagierte Bürger und Kulturschaffende können das unterstützen. Doch wir brauchen auch unorthodoxe Ideen, Kooperationen und neue Perspektiven in unserer Verwaltung, in Verbänden und Vereinen. Nur so kann ein Bewusstsein entstehen für eine den realen, sozialen Gegebenheiten angepasste Stadtentwicklung, die sich nicht nur an materiellen Gesichtspunkten orientiert. Ein vielversprechendes Beispiel dafür kann der Kulturkindergarten werden, der an der Nordbahntrasse auf dem Utopiastadt-Campus entsteht. Kultur ist ja nicht nur und alleine die neueste Ausstellung oder die Premiere auf den Bühnen der Stadt. Kultur ist umfassender und lebenswichtiger. Es geht um den Blick über den Tellerrand und hedonistische Bedürfnisse hinaus. Ich spreche von einer - auf allen Ebenen immer notwendiger werdenden - Herzenskultur. 2870 Weitere Informationen WZ KolumneDiese Kolumne in der Westdeutschen Zeitung