Die holde Kunst ist eine Kreislaufwirtschaft Das Lied vom Werden und Vergehen // 21. Mai 2025 Von Max Christian Graeff Die Gelegenheit war zu verlockend, um die Nachricht nicht zu verbreiten: Ende letzter Woche ging es für mich Richtung Basel, denn am Samstag um 21 Uhr hatte mein Chanson-Duo Canaille du jour einen Auftritt in großer Halle. Nichts davon war gelogen, doch wer uns endlich in der Glitzerhölle des Eurovision Song Contest wähnte, ging in die Falle der Halbwahrheit. Während in Basel der Countertenor JJ den Glaspokal mit hohem Ton fast zum Zerspringen brachte, spielten wir in einer alten Fabrikhalle in Emmenbrücke zwischen großen Regalen und Tischen, auf denen ein ganzer Lebenslauf der Bild- und Objektkunst ausgebreitet lag. Das Atelier einer zu früh verstorbenen Künstlerin musste geleert werden; alle Gäste der Gedenkfeier konnten sich gegen einen Obolus an den Werken bedienen. Am Montag früh ging der Rest – etwa 98 Prozent – zwangsläufig in den Müll, zur Transformation in Energie. Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini Zeitgleich wurde noch das Werklager eines anderen toten Malerfreunds geleert, doch für seine teils großen Bilder fand die Familie mit Glück einen anderen Weg: Die Hochschule Luzern betreibt eine Arbeitsstelle für das „urban mining“ der Künste, also das Zutagefördern und Verwerten von Rohstoffen der Kunst und Kultur: Sie wird die Leinwände abspannen und zum Übermalen aufbereiten, die Keilrahmen und Latten für neue Werke bereitstellen und auch das Restmaterial, teures Papier, Farben und Stifte an bedürftige Studierende vermitteln. Auch hier in Wuppertal ist eine solche Sammel- und Arbeitsstelle in Planung, um nicht nur den ökologischen Fußabdruck der bildenden Kunst zu reduzieren und dem Nachwuchs nötiges Material zu verschaffen, sondern nebenbei auch einen kleinen Trost im unvermeidbaren Aufräumen der Kunsthalden unserer an Werken so reichen Stadt zu geben. Viel mehr durch den Zufall eines großen Freundeskreises als durch irgendeine Absicht geriet ich in die Lage, mich helfend oder gar verantwortlich um Lebens- und Arbeitsreste mancher Autorinnen, Musiker und Malenden zu kümmern. Anfangs ging es um das Schreiben über sie und die Dokumentation werktätiger Leben, doch zunehmend kam die schwierige Vermittlung von Material an Archive dazu und manchmal auch die komplette Räumung des Gelebten. Das alles natürlich als Freundschaftsdienst, im Ehrenamt, denn für eventuelle Erlöse sind dann die Erben zuständig … Eine Hauptarbeit dabei ist das Bewerten und Entscheiden, was denn nun Kunst sei und was weg kann oder muss. Allzu oft trifft beides zu: Es ist Kunst und es muss halt weg, in die Container, ins Feuer. Oder, falls es als materieller Wertstoff taugt, halt in ein neues Büro oder Atelier. Die schönen Künste waren immer schon Kreislaufwirtschaften; sie bringen einander hervor, ziehen sich an oder stoßen sich ab, verschmelzen miteinander und sorgen für das große Lernen voneinander. Ruhm, Ehre und ewige Werte sind nur relative – und in der gesellschaftlich relevanten Breite und Vielfalt der Kunsterzeugung unbedeutende – Parameter einer ständig voranschreitenden Kulturgeschichte. „Die Ästhetik des Fundstücks“ lautet der Titel einer besonderen Ausstellung in der Schwarzbach-Galerie, mit vielen hundert Bildwerken, die tatsächlich bereits einmal auf dem Müllhaufen gelandet sind. Anrührendes, Gruseliges, Meisterliches und Dekoratives sind durch das Schicksal vereint, aus dem Bewahren gefallen und im Rinnstein entdeckt worden zu sein. Es entsteht eine philosophische Lehrsituation zur Kunst und zu Ressourcen, zur Unmöglichkeit, alles zu bewahren, und zum großen Wollen, an dem unser Leben hängt wie am Nagel das Bild. Feedback bitte an ➜ kolumne@fnwk.de 415