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Fluchten durch den Bücherherbst

Schaffen und Nichtschaffen im Wettstreit mit der Welt // 8. Oktober 20025

Von Max Christian Graeff

Schon sitzen wir wieder mitten im feuchtwindigen Grau und müssen uns entscheiden, ob es nun eher fisselt, plästert oder siept. Der Garten tropft, die Meisen lernen schwimmen und die letzten Äpfel fallen auf die Schnecken. Sofern nicht gerade eine Klasse der nahen Grundschule vorbeipurzelt, sind die Bücherregale – die Beete ablösend – das Farbigste des Tages. Perfekte Stimmung für die größte Buchmesse der Welt, die nächste Woche losstürmt, um die aktuellen multimedialen Programme zu zeigen und die Zukunft unseres Wissens- und Unterhaltungskonsums diskutiert. Längst geht es kaum mehr um Literatur; die dominierenden „nonbook“-Märkte drehen sich um gefälschte Labubus und „Hug my younger self“-Clips aus der künstlichen Pseudointelligenz.

Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini
Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini

Auf dem Papier blüht dauerhaft die Sparte der „Romantasy“ voll Epos und Magie; der Eskapismus regiert und lässt uns vergessen, dass viele dieser Limonadenromane längst nicht mehr handgeschrieben, sondern maschinengeneriert sind. Der alte Begriff Echappieren bedeutet: sich davonmachen, sich einer Situation entziehen, ursprünglich „die cappa (Ordensmütze) wegwerfen“. Nun ist das weder verwerflich noch verwunderlich und seit jeher ein Antrieb aller Künste.

Wenn heute jedoch große Teile der Wahrnehmung von diesen künstlichen Labububüchern belegt werden, verdrängen sie damit die Lesens- und Lebenszeit für all jenes Autorinnenwerk, das noch authentisch, lokal, streitbar und lebensbildend agiert. Die nicht bekannten Schreibenden stecken in einem Wettbewerb, der die meisten unweigerlich aufs Hobby reduziert.

An den Plakatwänden der Schwebebahnen sind nun oft Plakate zu sehen, die mit einem QR-Code auf die Webseite www.literatur-im-tal.de führen. Dort finden Sie (fast) alle Termine lokaler literarischer Veranstaltungen. Der Kalender zeigt, wie aktiv und vielfältig das Leben mit dem geschriebenen, gesprochenen Wort vor Ort eigentlich ist, was es aber weiterhin nur sein kann, wenn wir auch hingehen. Jetzt endet die 18. LIT.ronsdorf und es sei eingestanden, dass ich keine einzige Lesung besuchen konnte; diese Erwähnung soll symbolische Buße sein … Es war zu viel anderes zu tun, zu viel zu schaffen, nicht im Garten, sondern bei Lampenlicht inmitten der Bücherbeete. Dabei sind die Inspiration und die Ablenkung von eigenen Aufgaben durch das Schaffen der anderen eigentlich unverzichtbar, so wie die Bildkünste es jährlich bei der wildwogenden Woga beweisen. Wenn wir denn mal vom Bildschirm weg und genauer in die Stadt schauen, zeigt sich das eigentliche Kunstvolumen Wuppertals: nicht weltflüchtend, sondern ortstypisch konkret, unterhaltsam und progressiv, gar kämpferisch und politisch stets arg unterschätzt.

Als Kulturtreibender verirre ich mich – vielleicht zwangsläufig – ständig im Dschungel der Bedürfnisse und zugleich im Kosmos der Möglichkeiten. Im Wettlauf mit der Zeit und dem fehlenden Geld kann ich nur ständig überfordert unterliegen; ein relevantes, gar heiteres Arbeiten liegt allzu oft fern. So viel auch geschafft wird: Das Nichtschaffen herrscht vor. Kulturelle Dienstleistungen retten die Miete, doch die eigentliche Kunst bleibt im Konjunktiv stecken. So ging es mir auch mit der Idee eines Jahresprogramms zu Paul Pörtner, dem Stimmensucher und Wortefinder, der im vergangenen Januar 100 geworden wäre.

„Das schaffen wir“, dachte ich noch vor einem Jahr, doch dann war zu viel Welt im Weg, zu viel Material und Archivarbeit. Kein Trost, dass es ihm selbst stets so erging. Im Literaturkalender steht eine Veranstaltung im nächsten Januar, zu seinem 101. Geburtstag. Bis dahin bleiben Ihnen seine Bücher; schauen Sie mal in Ihr Regal, wenns draußen wieder plästert.

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