Immer schön flüssig bleiben Die Parkplätze werden knapp. Auch unser Sprechen braucht neue Mobilität. Von Max Christian Graeff Et plästert. Das Tal fällt ins windige Grau und der Boden saugt und säuft so gluckernd, dass man es durch die dicksten Mauern hört und sich fragt, wann wohl der dunkel rollende Rülpser kommt. Aber dazu reicht der Regen noch nicht, und die Erde ist kein japsender Teenager mehr. In der Zeitrechnung der Gelehrten steckt sie in den „besten Jahren“ – und dank humanoidem Virenbefall in einem akuten Fieberschub. Es wird ihr natürlich gelingen, sich von uns zu befreien; schmerzhaft ist allein, wie vehement wir selbst daran mitwirken. Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini Noch vor den Menschen sterben ihre Sprachen. Die Linguisten zählen etwa 6500 weltweit, doch Hunderte stehen kurz vor dem Aussterben. Man sagt, dass alle zwei Wochen eine Sprache verschwindet. „Dobuten is et am rähn. Nee, et fisselt man blos, nee et siept, et fängt an te plästern. – Do is nix an te maken, me mott sek schecken.“ So schreibt der Elberfelder Schriftsteller, Sprachsammler und Hörspielpionier Paul Pörtner, der vor 35 Jahren starb. Im Januar 2025 würde er hundert Jahre alt. Sein von Spracherforschungen und literaturhistorischen Dokumentationen überquellender Nachlass ruht in den Regalen der Stadtbibliothek, und zur tatsächlichen Aufarbeitung fehlen Geld und Zeit. Es wäre schade, wenn unsere Stadt dieses so reiche Archiv verlöre, ohne zumindest ein veranstaltungs- und publikationsreiches Pörtner-Jahr gemacht zu haben. Denn mit ihm ginge uns ein überreiches, noch nicht vollends entdecktes und zum großen Teil schon wieder vergessenes literarisches Lebenswerk sowie ein wahres Sprachlabor verloren. „Sprachlabor“ – so hießen ab den 60er-Jahren innovativ ausgestattete Lernräume in vielen Schulen. Der Gedanke vom Lernen durch das Hören und Nachsprechen nichteigener Sprachen war vermutlich gut; an eine gelingende Umsetzung kann sich kaum noch jemand erinnern. Heute ist die Technik in jeder Hosentasche daheim, doch sie dient im Alltag meist nicht der Entfaltung und Verbreiterung unseres Sprechens, sondern dessen Verrohung und Verstümmelung. Unter aller Technik liegt – als Humus unserer Kulturen und sämtlicher Bestrebungen – immer noch das lebendige und situative, das momentane Wort. Das eigentliche Labor unseres Denkens wabert wie ein heute grauer Himmel hinter allem, was sich bewegt. Wenn wir die Sprachen nicht sterben lassen, wird uns kein Quantencomputer jemals einholen können. Wir reden so viel über Mobilität, dass wir dabei das Mobilste, was wir haben, das Fortbewegungsmittel unseres Sprechens, allzu oft nicht mehr wahrnehmen. „Was unterscheidet Menschen von den Tieren? – Wir können rückwärts einparkieren!“ Der (auch schon tote) Punkmusiker Thomas Hösli brachte unsere Fähigkeit wie auch die Lächerlichkeit dahinter glänzend auf den Punkt. Vergessen wir doch neben all den Parkraum- und Immobiliengefechten die wirklichen Mobilitäten nicht. Statt Bundeswehrsoldaten (wie von der JU NRW vorgeschlagen) müssen freie Schriftstellerinnen und Autoren wieder zum festen Teil des Schulunterrichts werden. Mit Lesungen, Workshops und Spielen tragen sie viel mehr zur inneren und äußeren Sicherheit bei als irgendwelche Strategen in Feldgrau. „Der Berg liest“, das Lesefestival auf dem Ölberg, hat es mit 199 Lesungen am letzten Sonntag bestens gezeigt: Die Sprache ist der effizienteste Treibstoff, den wir haben: unerschöpflich und klimaneutral. Vom 12. Oktober bis zum 2. November findet sie zum Beispiel auch auf der LIT.ronsdorf statt, bei den 13. Ronsdorfer Literaturtagen. So fern, so nah, so bunt. 2725 Weitere Informationen WZ KolumneDiese Kolumne in der Westdeutschen Zeitung