Warum ist das Schöne schwer zu begreifen? Von Tine Lowisch Ich nutze jetzt mal das Sommerloch und versuche zu klären, was Kunst ist. Wünschen Sie mir Glück, denn normalerweise antworte ich darauf: Kunst ist von Künstlern und schweige dann beredt. Das hat bisher noch immer geklappt. Dass man meine Empathie für die Kunst überprüfen möchte, passiert oft auf Ausstellungseröffnungen. Mit dem nächsten Bussi rechts, Bussi links kann ich mich dann jedes Mal verlässlich von einer weiteren Debatte entfernen. Die meisten Besucher einer Ausstellungseröffnung nehmen diesen Event sowieso nur wahr, um sich ihrer Selbst zu versichern und sich ins Bild zu schmeißen. Sie wollen oftmals ein kostengünstiges Partyerlebnis. Reden werden gehalten, kurze Musikstücke gegeben und oft kommt der Satz: Vor lauter Gästen sehen wir den Wald leider nicht. Dabei gibt es nichts Schöneres, als sich mit bildender Kunst zu umgeben und sich mit ihr zu beschäftigen. Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp Wenn ich eine, im besten Sinne, interessenlose ästhetische Erfahrung mit einem Gegenstand mache, steht für mich die Zeit still. Alles andere tritt zurück. Ich bin nicht alt, nicht jung, nicht krank oder gesund und ob die Miete schon wieder fällig ist, verlässt für einen Augenblick den Bereich meiner Sorgen. Wenn ich einem Kunstwerk, das auch ein Kunstwerk ist, begegne, passiert etwas zutiefst Besonderes: Es sagt mir etwas – ich fühle mich aufs Geheimste angesprochen. Manchmal und das ist nicht selten, eröffnet mir dieser Vorgang ganz neue Sichtweisen. Viele neue Dinge in unserer Welt geben uns ja leider keine Anhaltspunkte mehr, die Suche nach der Essenz ist verdammt anstrengend geworden. Vielleicht ist einfach keine Antwort in Sicht und ich sollte die Frage noch einmal überdenken? Man sagt, Kunstwerke werden immer auch von der sie umgebenden Zeit bestimmt. Die Zeit, in der wir im Moment leben empfinde ich als extrem unübersichtlich. Kommt jetzt etwa: New Biedermeier? Gegenständliches, Figuratives ohne Funktion – schön bunt – digitalisiert, also nach mir die Sinn-flut? Lassen wir uns auch in der Kunst von Ergebnissen die von Algorithmen ausgespuckt werden anleiten und uns auf einmal nicht mehr von offenen Ergebnissen überraschen? Nach ein paar eingesetzten Filtern wird sowieso alles schön. Ich finde ja schön, was sich mit Bescheidenheit und Natürlichkeit paart und es ist nicht schön, wenn Schönheit mit Leistung und Erfolg in eins fällt. Aber das ist Geschmackssache und wer soll darüber streiten oder urteilen? Am vergangenen Samstag wäre ich lieber auf dem Laurentiusplatz gewesen, um das Konzert des Symphonieorchesters zu erleben, als in einer abgerockten Wohnung auf dem Ölberg eine Küche abzubauen. Dafür habe ich jetzt aber wieder einen funktionierenden Backofen, einen Kühlschrank – altersgerecht – das Gefrierfach ist unten. Übernommen aus dem Haushalt eines unterbezahlten, anerkannten Drehbuchautors, den wir unbedingt einladen werden, um in seiner alten Küche bei uns mit uns zusammen zu überlegen, ob wir im Leben die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Wer jetzt denkt: Die jammert, liegt falsch. Denn in meiner neuen, alten Küche umgeben mich immerhin Werke von Martin Kippenberger, Henry Moore, Ulrich Rückriem, Lynn Chadwick, aber auch von Uwe Becker, Jürgen Grölle, Kai Fobbe und selbstverständlich von Eckehard Lowisch und Tony Cragg – obwohl deren Werke hängen bei uns, aus persönlichen Gründen, etwas geschützter. Insgesamt finde ich das, was mich umgibt sehr schön und auch, dass ich dadurch das Schöne begreife und ich, so oft ich will, die Möglichkeit habe meine Realität zu überwinden, finde ich fast schon erhaben. 3264 Weitere Informationen WZ KolumneDiese Kolumne in der Westdeutschen Zeitung