Was die Dunkelheit zeigt 10. Dezember 2025 Von Kati Trempler In der letzten Woche beschäftigten mich die Themen „Licht und Dunkelheit“ sehr. Am Freitag war ich auf der Insel, um der eindrucksvollen Tanzperformance „Mayak“ von Kenji Shinohe beizuwohnen. Kati Trempler - Foto: Line Beckmann Die drei Tanzenden spielten virtuos mit den Gegensätzen von Licht und Dunkelheit, laut und leise, zusammen und allein, Führung und Selbstbestimmung, Hass und Liebe, dem Menschlichen und dem Unmenschlichen. Verrenkte Körper, die beinahe entgrenzt wirkten, und animalische Geräusche, die sich durch den Raum schoben, wurden durch Stroboskopimpulse noch einmal verschärft. Immer wieder löste sich das Geschehen vollständig in Dunkelheit auf, ließ das Publikum mit den eigenen Gedanken allein, um dann im nächsten Moment durch scharf gesetzte Lichtimpulse den Blick kompromisslos zu dirigieren. Kein Ausweichen, kein Hintergrund, keine Möglichkeit, sich zu entziehen. Eine insgesamt dunkle Inszenierung entspricht in Timing und Tonalität genau dieser Jahreszeit. Interessant ist, wie stark wir gefühlsmäßig auf Dunkelheit reagieren. Das Fehlen von Licht schärft uralte Instinkte, lässt uns hellhöriger, wachsamer, mitunter ängstlicher werden, und nicht selten beginnen neutrale Bilder, sich im Dunkel zu verzerren, sich in unklare Umrisse des Alltags zu verwandeln. Grübeleien, die wir im hellen Sommer beiseiteschieben, finden jetzt Lücken, durch die sie sich nach oben arbeiten. Die meisten kennen diesen gedanklichen Zustand wahrscheinlich sehr gut. Gleichzeitig ist Dunkelheit nicht nur ein Ort für Ängste, sondern auch Raum für schöpferische Prozesse. Wenn weniger sichtbar ist, werden wir innerlich freier. Reize nehmen ab und unser Gehirn beginnt, das Ungesehene zu ergänzen, Leerstellen zu füllen. Ein Raum der Imagination entsteht, eine Innenschau, die in hell ausgeleuchteten Umgebungen oft keine Chance hat. Künstlerinnen und Künstler nutzen diese Kraft der Verdunklung seit Jahrhunderten: Das Verschweigen, das Verdecken, das Andeuten – all das erzeugt Resonanzräume für das, was erst im Kopf des Publikums entsteht. Vielleicht ist das das eigentliche Geschenk der Dunkelheit: Dass sie uns zwingt, wieder genauer hinzusehen. Nicht nur das Offensichtliche, Ausgeleuchtete, Eindeutige – sondern das, was in den Zwischenräumen entsteht. Jede Inszenierung lebt vom Schatten, jedes Bild auch vom Ungemalten und jede Bewegung vom Moment davor und danach. Vielleicht können wir uns gerade jetzt ein wenig öfter dorthin zurückziehen, wo nicht alles sichtbar ist. Dorthin, wo das Denken stolpert und dann neue Wege findet. In jene Zone, in der unsere Kreativität beginnt – und wo unser eigenes, inneres Licht hell leuchtet. Doch in den Momenten, in denen Dunkelheit die Krisen der Zeit nährt, ist es ratsam, uns zusammenzuschließen und unser Potenzial bewusst auszuleuchten. Am 19. Dezember findet unsere Veranstaltung „Licht an!“ statt. Von 17 bis 19 Uhr, werden wir auf dem Vorplatz der Färberei (Peter-Hansen-Platz 1) so viele Lichter wie möglich zünden, um gemeinsam sichtbar zu werden und dem Frieden den Weg zu leuchten. Alle sind eingeladen zu kommen, so viele Lichter – ob Kerzen oder Lichterketten – mitzubringen und am Feuer Geschichten zu lesen. Denn Kultur zeigt nicht nur, sondern hat auch einen politischen Auftrag. Feedback gerne an ➜ kolumne@fnwk.de vorheriger Artikel Weitere Kreise ziehen 39