Kunst in der Zeit der Erwartungen Werte der kulturellen Arbeit bleiben unberechenbar // 12. November 2025 Von Max Christian Graeff Es kreischt und poltert durch das graue Licht; ein Scheppern, multiples Flügelschlagen und dann wird es still. Elster gegen Eichhorn, Dompfaffsingle gegen Amselpaar: Noch liegt kein Raureif auf den Beeten, da hat die Zeit des Neidens schon begonnen. Kuscheltiere kloppen sich um kleine Gaben, und sobald der Meisenknödelhalter dann am Boden liegt, verharrt die Welt und blickt in Richtung meines Küchenfensters. Moment, denke ich, es ist zwar Martinstag, doch neue Knödel gibts erst zum Black Friday; noch hängen viele Büsche voll mit Superfood. – Die Pädagogik des Gebens ist mitunter kompliziert; was macht man sozusagen richtig und was falsch? Was soll getan sein für die Gabe und was bekommt die gebende Hand dafür? Max Christian Graeff - Foto C. Paravicini Die gemeinsam engagierten Teile der freiberuflich Kunst- und Kulturtätigen unserer Stadt, unter anderem im FNWK verbunden, haben dafür ein Einblicke gewährendes und Informationen austauschendes Element installiert, das relativ neu ist und doch bereits selbstverständlich scheint: Der Kulturrat wählte kürzlich erneut zwei Vertreterinnen, Thusnelda Mercy und Dr. Kati Trempler, welche die Interessen der freien Szene im neuen Kulturausschuss des Stadtrats beisitzend vertreten. Kann es funktionieren, das breite Spektrum verschiedenster Positionen unserer an künstlerischen Stimmen überreichen Stadt in einem Gremium abzubilden? Dieser Anspruch muss konstruktiv fallengelassen werden; die diversen Situationen sind seit jeher unvergleichbar. Doch Ohren und Meinungen in diesem Ausschuss präsent zu haben, ist in einer Zeit der das Gemeinwohl bedrohenden rechten „Kulturkampf“-Stimmung relevant. Hoffentlich erhalten die Vertreterinnen genügend Gelegenheit, um Verständnis zwischen den extrem verschiedenen Welten der Politik und der Künste zu befördern. Für die vielen ehrenamtlichen Stunden können wir anderen nicht genügend danken. Der sich nähernde und von der Konsumgüterindustrie mit ungeheurer Wucht genährte Advent ist von der Wortbedeutung her die Zeit der „Erwartung“. Was erwarten wir nicht alles – von der nächsten Klimakonferenz, von der neuen Oberbürgermeisterin, von jedem Post auf den längst radikalisierten asozialen Medien, vom nächsten Brainrot-Feed und vom Meisenknödelnachlegenden, von der Digitalisierung der Verwaltung und generell der sogenannten Künstlichen Intelligenz… Zugleich verschleißen wir die Sinne und zahllose Stunden in Umfragen und Bewertungen, werden unter dem Deckmantel vermeintlicher Mitsprache gemolken und gebunden. So sinnvoll manches erscheint, so fragwürdig blitzt anderes auf. Die neue Biomüll-App befragt mich, ob ich meine Freizeit gerne mit ihr verbringe und welcher Hintergrund am liebsten sei. Lange dauert es dann nicht mehr, bis die Farbigkeit von Papagenos Federkleid im Voraus evaluiert wird, um Opernabonnenten zu binden. Wie schwierig es ist, sich aus den Klammern der Erwartungen zu lösen, erfahren wir auch bei der Arbeit für das Bergische Kulturmagazin „Die beste Zeit“. Ein Jahr lang ist das Heft mit neuer Redaktion und Gestaltung nun am Markt, und die meisten, die es tatsächlich lesen, halten es schon für unverzichtbar. Die Abo-Zahlen berichten jedoch von der Wirklichkeit: Die Abonnenten und Einzelkaufenden passen immer noch in lediglich drei locker gefüllte Schwebebahnzüge. Wie kann das sein? Das Heft ist auf dem Weg, sich zu wandeln: Vom Vorgezeichneten hin zum Unerwarteten, zur unbestellten Information und unvorhersehbaren Unterhaltung. Die beste Zeit ist immer die, die kommt – und die eine Möglichkeit beflügelnder Überraschungen enthält. Die Büsche hängen noch voller Beeren. Pflücken Sie mit! Ihre Meinung an ➜ kolumne@fnwk.de 207