Slow, aber nicht still zwischen den Zeilen handeln 6. August 2025 Von Tine Lowisch Erst seit 23 Jahren, seit die Documenta 2002 in Kassel den Impuls dazu gab, überdenken die europäischen Kulturinstitutionen ihre gewachsenen Strukturen. Seit sie ihren Kompass sozial-ethisch neu ausrichten, ist vieles in Bewegung. Die Kultur kommuniziert dazu – mal mehr, mal weniger. Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp Ihr Anspruch, Konflikte immer in guter Weise auszutragen, müsste aus meiner Sicht hierbei allerdings ein bisschen lauter bleiben, sonst gerät das Sortieren von Diskursen aller Art immer weiter in ein Dilemma. Die Idee, dass Menschen zwischen den Zeilen schon richtig handeln werden, kommt dabei immer mehr in Bedrängnis, und ich habe den Eindruck, dass wir feststecken bei den Versuchen, eine neue Maschinerie zu handhaben. Ich mag ja mein Leben fast ohne dieses smarte Handy und akzeptiere, dass man sich damit kaum mehr anruft, da es so viel mehr kann. Aus einem mobilen Telefon ist eben in überraschend kurzer Zeit eine künstliche Intelligenz geworden – ein Assistent, der übrigens auch die bildende Kunst in ihren Ausdrucksformen revolutioniert und stark verändert hat. Denn auch hier werden die Arbeitsprozesse dynamischer und agiler. Da wundert es mich nicht, wenn auch aus diesem Grund Unternehmen wie etwa der Bayer-Konzern oder die Deutsche Bank ihre traditionsreichen, großen, globalen Kunstsammlungen nun beginnen aufzulösen und in Auktionen zu versteigern. Jetzt verstehe ich besser, warum die Sparkasse bei uns in der Stadt diesem Trend folgt. Es gehört leider auch zur Zeitenwende, dass in den Büros durch Desk-Sharing die Wände fehlen. Großkonzerne und Banken gehörten lange Jahre zu den Unterstützern von klassisch repräsentativer Kunst. Diese Hieroglyphen der Hierarchien passen heute nicht mehr so gut zur Unternehmenskultur. Das finde ich schade. Warum sollte man Kunst, die ein Unternehmen und seine Entwicklung spiegelt, veräußern? Warum spricht man den Kunstwerken, die in den vergangenen Jahrzehnten für immer größer werdende Global Player angeschafft wurden, im Rückblick ab, dass sie einmal inspiriert oder sogar Innovationen ausgelöst haben? Ich finde, jedes Unternehmen (nach vorsichtigen Schätzungen gibt es in Deutschland circa 500 bis 700 sogenannte „Corporate Collections“, also Kunstsammlungen, die im Umfeld von Arbeitsplätzen ihre Wirkung entfalten) darf gerne seine Sammlung bewahren, pflegen, schützen und natürlich auch neu bewerten. Hauptsache, es stärkt sie weiterhin. Wer seine Kunstsammlung schätzt, baut sie doch am besten immer weiter auf und aus und findet einfach neue Wände. Kreiert mit Kunst vielleicht neue öffentliche Gebäude oder beteiligt sich mehr an der Gestaltung von öffentlichen Plätzen? Oder kann die Kunst, die noch keinen Markt findet, vielleicht auch im Home-Office etwas bewirken? Öffentliche Sammlungen brauchen doch einfach nur eine neue Form des Umgangs mit ihnen. Sammlungen aufzugeben, ist dabei, finde ich, keine Option. Als neue Chance im Umfeld dieses Themas wird oft davon gesprochen, dass man sich transformieren will, indem sich auf den Nachwuchs in der Künstlerförderung konzentriert wird, auf die junge Kunst. Das finde ich natürlich richtig gut. Unter dem Aspekt, dass „junge“ Kunst nicht nur die Kunst von jungen Künstlerinnen und Künstlern meint und der Begriff der jungen Kunst auch bisher unentdeckte, künstlerische Positionen miteinbezieht. Ob die Kunst unsere Zeit digital und super „fast“ mit Lichtbildgewittern begleitet oder uns still und „slow“ auf analogem Weg widerspricht … es passiert, wie immer, alles gleichzeitig. Anregungen an ➜ kolumne@fnwk.de 305