Unter dem Schreibtisch liegt der Strand Die Kunst kennt keine Sauregurkenzeit // 30. Juli 2025 Von Max Christian Graeff Ein gutes Dutzend möglicher Anfänge stehen heute auf dem Schmierpapier, alle so richtig wie bedenkenswert, und die meisten sind Ihnen als Zeitungslesende bereits bekannt: Trump lässt die USA zugunsten seiner Kernkompetenz des Zerstörens wieder aus der UNESCO austreten. Die AfD feiert ein neues Modewort und so ist sicher bald (spätestens zur spätherbstlichen Nazibuchmesse in Halle) mit einem Bestseller namens „Mein Kulturkampf“ zu rechnen. Im TV-Morgenmagazin sagte ein Moderator: „Man muss als Künstler auch mal kreativ sein.“ Das erste Buch mit dem (warnenden?) Aufkleber „human written“ liegt im Handel, wohingegen computergenerierte Schlürfliteratur weiterhin nicht gekennzeichnet wird. Und kurz vor den Ferien organisierte das Freie Netz Werk Kultur dankenswerterweise eine Fragerunde mit den meisten für das Oberbürgermeisteramt Kandidierenden, in der allein die enttäuschten Einwürfe aus dem Publikum ermutigend und erhellend waren. (Die ➜ WZ berichtete, und meine Betrachtung unter dem Titel „So tun, als OB“ erscheint im nächsten Kulturmagazin „Die beste Zeit“.) Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini Also, mit all jenem hätte diese Kolumne beginnen können, doch die Entscheidung fiel heute schwer. Mehrmals begann es zu regnen; die Nacktschnecken tanzten Polka im Gemüsebeet und die Laune beim Sichten der dystopischen Notizen wurde fragwürdig. Was könnte Sie denn interessieren in der Ferienzeit? Dass die Nachfrage nach Märchenbüchern im Keller ist? Dass wir immer noch keinen Sommerhit haben, obwohl in vier Wochen schon die Spekulatius im Laden stehen? Über die schönen Seiten, Erlebnisse und Leistungen der „Schönen Künste“ berichtet die WZ sowieso selbst (und im Vergleich zu früheren Jahren schön ausgiebig). Tiefenrecherche und exklusiver Klatsch sind fehl am Kolumnenplatz. Unser Team mit Gästen bespielt einen Zwischenraum, eine lokale kulturpolitische Drehscheibe mit eigener Meinung und Reflektion. Und da mag sich schon mal etwas doppeln und wiederholen in mittlerweile etwa 390 Texten quer durch die belebten Zeitläufte, auch die Ratlosigkeit! Vor allem aktuelle Sorgen um die Wertigkeit und Freiheiten der Künste, um Arbeits- und Lebensbedingungen der Akteure dominieren diesen publizistischen Freiraum – zu Recht, doch nicht immer zum Vergnügen. Sämtliche Erkenntnisse über den Wirtschaftsfaktor der Kunst und Kultur aus dem ersten Jahr der Pandemie sind in den nachfolgenden Kriegs- und Krisenphänomenen wieder unsichtbar geworden. Doch hat sich Wesentliches getan: Die Projekte des freien Netz Werk Kultur wirkten und leben fort; hinter der Kulisse angeblicher Sommerferien arbeiten dort viele still an den Aufgaben des Herbstes. Wenn die Oberbürgermeisterkandidatinnen mehr Fragen als Antworten vom erwähnten Round Table nach Hause schleppten, ist dies ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis des Netzwerk-Abends. Und nun liegen wohl sämtliche Kunst-Aktiven dieser Stadt derzeit nicht am Strand, sondern arbeiten im Sommerloch mit Hochdruck an den Programmen und Dramaturgien der kommenden Saison, an versöhnlicher Unterhaltung und brennenden Zeitgedanken, an Kursen, Provokationen und Überraschungen, an Inklusion, Vielfalt und Bildung für alle, also an Aufgaben, ohne die unsere Stadt und Gesellschaft weniger Menschlichkeit, weniger Einnahmen und gar keine lebenswerte Zukunft hätte. Wir haben nur kurze, dichtgedrängte Wochen, um vorzubereiten, was dann wieder gefordert wird – und um zu fordern, was auch die kleinste Bühne an Stützen braucht. Sie hingegen könnten vom wohlverdienten Strandkorb aus sehr gerne mal durch unser Archiv surfen und nachlesen, was uns in diesen Jahren alles bewegte: Anregungen an ➜ kolumne@fnwk.de 372