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Pflücke den Tag, pflücke die Kunst

Warten auf die Genehmigung des Haushalts // 4. Mai 2022

Von Torsten Krug

Kunst ist, wenn sie glückt, eine Konfrontation mit dem Augenblick, mit dem schieren Ereignis, dass etwas ist. Ein Klang, eine Stimme, ein Ton, ein Text, eine Farbe, ein Strich – im besten Fall führen sie uns in ein intensiveres Jetzt, oftmals mit anderen zusammen. Dieses Ereignis können auch andere Momente im Leben hervorrufen, doch in der Kunst versuchen es Menschen zu schaffen – ins Werk zu setzen – auf dass es sich immer wieder ereigne, für andere Menschen.

Torsten Krug - Foto: Andreas Fischer
Torsten Krug - Foto: Andreas Fischer

Diese Erfahrung und der Versuch, sie zu beschreiben, sind nicht neu (ich bediene mich hier bei den Worten Martin Heideggers und seiner Schrift „Der Ursprung des Kunstwerks“). Doch scheint es mir, dass unsere Gegenwart Kunst und Kultur gerade besonders aufzuladen vermag: Seit kurzem erst, nach entbehrungsreicher Zeit, können wir „wieder“ live-Kultur erleben – und gefühlt können wir es „noch“. Nach zwei Jahren wird die sehnsüchtig erwartete Erleichterung von unfassbarer Gewalt und Endzeit-Szenarien überschrieben, wie wir sie uns seit Jahrzehnten nicht mehr auszumalen gezwungen sahen. Ach ja, und der Klimawandel steht nicht einmal mehr vor der sprichwörtlichen Tür, er ist ja schon da.

Ein jeder geht mit dieser Überforderung anders um. Viele verbeißen sich in Frontlinien, bilden Meinungslager, vor allem in den sozialen Medien. Andere suchen gerade jetzt die Lebensfreude, trotz allen medial aufbereiteten und realen Elends und Wahnsinns. Auch das scheint mir gesund und notwendig für ein gemeinsames Überleben. So können Kulturereignisse ein Ventil für unsere Ohnmacht sein, erlebe ich beim Publikum und an mir selbst einen Kulturhunger wie lange nicht mehr. Selbst und gerade das Tanzen, die eigene Bewegung möchte ich hier mit einschließen.

Fliehend vorm Pesthauch der Pandemie laufen wir den Bildern des Krieges und der Zerstörung in die Arme. Um sie zu vertreiben, müssen wir uns rühren, müssen wir zusammenkommen und uns austauschen, über das, was wir sein wollen, was wir sein könnten, was wir waren. Dazu bieten Kunst und Kultur seit jeher Raum.Um diese gedanklichen Höhen schnöde zu verlassen, werfe ich einen Blick in die Wuppertaler Stadtpolitik: Bis zum 30. September eines jeden Jahres können Kulturträger Anträge auf eine Institutionelle Förderung stellen, bis zum 30. März Künstlerinnen und Künstler für laufende Projekte. Dies geschah auch im letzten Jahr (beispielsweise durch den INSEL e.V.) und geschah und geschieht in diesem Jahr – doch die Gelder liegen beim Kämmerer auf Eis. Angesichts des nicht zuletzt durch die beschriebenen Krisen erschütterten Haushalts der Stadt herrscht aktuell eine Sperre. Wie es weitergeht, weiß kein Mensch. Das ist ganz nüchtern und wirtschaftlich betrachtet fatal. Kulturtreibende (und die ihnen Raum bieten) haben keine Reserven, kein Netz für Haushaltsbeben. Ein Stau in der sowieso dünnhäutigen Kulturgelder-Planung verursacht vielfältige Folgeschäden, gerade jetzt, in der Lücke zwischen den Pandemie-Wellen.

Und so lebt die Kulturszene – wie einige andere Bereiche auch – in den Tag hinein, improvisiert und hofft und drängt auf baldige Entscheidungen, um eine akute Unterfinanzierung abzuwenden. Carpe diem, carpe artem. Pflücke den Tag, pflücke die Kunst.

Da ich gerade für die Wiederaufnahme einer eigenen Fassung von „Max und Moritz“ proben darf, kann ich hier keck enden mit Wilhelm Busch: „Ich bin Pessimist für die Gegenwart, aber Optimist für die Zukunft.“ Anregungen und Kritik: kolumne@fnwk.de

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