Verborgene Juwelen 1. Oktober 2025 Wuppertal ist ein wenig spröde. Eine Verwandte aus meiner Heimatstadt Hamburg, die mich einmal hier im Tal besuchte, war schockiert, nachdem sie am Barmer Bahnhof ausgestiegen war. Sie musste die Hässlichkeit, die einige Anblicke boten, erst einmal verdauen. Gleichzeitig, nach 25 Jahren Wuppertal, kommen mir einige Gegenden in Hamburg jetzt ziemlich abgehoben und weltfremd vor. Wuppertal ist merkwürdig. In der Enge des Tals verstecken sich Überraschungen. Manchmal kommen kleine Juwelen zum Vorschein. Das alte Schauspielhaus, das zum Pina-Bausch-Zentrum werden soll, erzählt davon. Wenn ich im Foyer an einem der runden Tische sitzend durch die Fenster in den japanischen Garten schaue, will mein Blick immer wieder die türkisgrüne, abblätternde Farbe des Wasserbeckens abtasten, als sei hinter dieser faszinierend dekadenten Oberfläche etwas Tieferes zu finden. Kenji Takagi ist freischaffender Tänzer, Choreograph und Tanzvermittler. Von 2001 bis 2008 war er Ensemblemitglied des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch. Foto: Kenji Takagi In diesem Haus sind wundervolle Dinge geschehen. Am 21. März 1987 tanzte Mark Sieczkarek in der Uraufführung von Pina Bauschs „Ahnen“ in Schottenrock und Lederjacke, mit zurückgegelten Haaren und Sonnenbrille zwischen Kakteen zu metallischer Punk-Disco-Musik um eine Gruppe merkwürdig maskierter Gestalten herum, die zusammenstanden wie ein schräges Familienfoto. Wow! Elektrisiert habe ich auf diese Szene geschaut, als wir bei den Proben von „Ahnen“ in der Lichtburg, dem Probensaal des Tanztheaters, die alten Videos studierten. Irgendwie geil. Irgendwie genau Mark. Alle kennen Pina Bausch, aber wer kennt noch Mark Sieczkarek? Er ist eines dieser Juwelen, die sich in dieser Stadt verbergen. Und es ist schade, auf eine Weise ungerecht, dass dieses Juwel so im Verborgenen geblieben ist. Mark hat das Tanztheater damals nach wenigen Jahren verlassen. Seitdem war er freischaffend. Er hat unzählige Stücke choreografiert, dazu die Kostüme und Bühnenbilder entworfen und fabriziert, Gedichte geschrieben, Filme gedreht, gezeichnet und gemalt. Bis zuletzt hat er immer weiter kreiert, trotz kürzlich schwerer Krankheit, aber ohne den riesigen Erfolg, der seiner Kunst angemessen wäre. Es gibt Menschen, die großartige Künstler sind, sich aber nicht selbst vermarkten können oder wollen. Und es gibt Menschen, die nicht ins Antrags-System für die freie Kunst passen, obwohl ihre Kunst die Förderungswürdigste ist. Noch bevor ich selbst in Choreografien von Mark tanzte, sah ich zu Beginn meines Tanzstudiums 1994 in Essen zwei Stücke von ihm: „Easy to love“ und „Hurricane – men’s solos“. Die Bühne war voller Müll, doch verführerisch glitzernd. Auch die Kostüme waren aus Überbleibseln gebastelt. Mäntel aus Bierdosen, Kleider aus Kronkorken, wie zusammengeschusterte Rüstungen von Rittern oder Königen verlassener Reiche. Ein Meer aus leeren Plastikflaschen. Dazu vollzogen sich einsame Tänze mit rätselhaften Gesten und verspielte Kaleidoskope seltsamer Gestalten, wie Wesen von woanders her. Apokalyptisch und poetisch, surreal und magisch. Einige von den teils überraschend simplen, fast minimalen Bewegungen blieben danach noch lange im Gedächtnis, wie kleine Visionen. Hoffnungsvolle Rituale aus einer Traumwelt. Im Oktober, in der Ausstellung „paths through my garden“, werden Teile von Marks Schaffen den nostalgischen Charme bewohnen, den die Räumlichkeiten des Schauspielhauses in ihrer Übergangs-Vergessenheit ausstrahlen. Seine Kostüme und Bühnenbild-Fragmente werden uns daran erinnern, dass das Schöne und Geheimnisvolle hinter den Oberflächen lebt, auch wenn es nicht beachtet wird. Feedback ➜ kolumne@fnwk.de 391