Wunder braucht das Leben Eine Zukunft ohne Kunst und Kultur? // 24. September 2025 Von Uta Atzpodien Schon seit Wochen wirbeln bunte Blätter durch die Luft. Eben verbrachten wir die Tage noch schwitzend im Sommerkleid oder kurzen Hosen, jetzt ziehen vor unseren Augen dunkle Wolken über die Stadt. Gefühlt hat es gar nicht so selten geregnet in den letzten Wochen, zugleich lechzen Bäume und Pflanzen immer noch nach Wasser. Vom Küchenfenster aus blicke ich auf die Blätter der Kastanie hinter dem Haus, so vertrocknet, dass es kaum vorstellbar ist, hier jemals wieder grüne Blätter sprießen zu sehen. Der Herbst ist da. Einst, als ich in der Ferne lebte, habe ich den Wechsel der Jahreszeiten vermisst. Tröstend hält er uns die Vergänglichkeit allen Lebens vor Augen. Uta Atzpodien - Foto Ralf Silberkuhl Trost ist willkommen inmitten der Trauer um den Kollegen und Freund, den Choreografen und Künstler Mark Sieczkarek. Mehr als zehn Jahre lang habe ich ihn liebgewonnen und in Vielem staunend schätzen gelernt. Nun gehen Schmerz und Staunen Hand in Hand, verneigen sich vor all dem Wundervollen, was Mark Sieczkarek über seine Person und seine Kunst in unser Leben gebracht hat. 2015 sah ich seine Tanzproduktion „The tower“ in der börse, sie war von der Turmkarte im Tarot inspiriert, die für den Zusammenbruch überlebter Systeme und zugleich für die Chance auf einen Neubeginn steht. Diese Tage spüre ich einfach einen großen Verlust. Am Wochenende holte ich eine mir nahestehende Person von einem Seminar zum gemeinschaftlichen Wirtschaften in Koblenz ab. Wir machten uns auf nach Valledar am Rhein, um einen 91jährigen blinden Pater in einer kirchlichen Hochschule zu besuchen. Voll liebevollem Humor erzählte dieser von 50 Jahre zurückliegenden Treffen, gemeinsamen Liedern und Ausflügen, als ob sie gestern gewesen wären. Tastend suchte er den Weg zu einer Kirchorgel, auf der er unter die Haut gehende Orgelwerke spielte, die sich tröstend im Kirchenraum ausbreiteten. Einst bekannt für theologische Schriften wie „Was die Bibel Wunder nennt“ oder „Miteinander Gemeinde werden“, berührte mich, wie sehr er heute erkennt, dass Wunder überall im Alltag und im ganz Schlichtem zu finden sind, nannte sie „eine Überraschung zum Heil“, also Überraschungen für eine gute Entwicklung und Zukunft. Braucht letztere Kunst und Kultur? Im Haushaltsentwurfs des Landes Nordrhein-Westfalen für 2026 ist derzeit von Kürzungen im Kulturetat von 8,5 Millionen Euro die Rede. Wo genau sie greifen, bleibt noch unbenannt. Beim Start in die Amtszeit hatte die Landesregierung noch von Erhöhungen gesprochen. Dramatisch werden die Kürzungen im Zuge der ab Januar 2026 greifenden Auflagen der – grundsätzlich sinnvollen – Mindesthonorare für die über Landesmittel geförderten Projekte. Ohne höheren Etat führen diese unweigerlich zu einem verheerenden Sterben von Kunst und Kultur. Wollen wir das wirklich? Hier scheinen nun wahrlich „Wunder“ von Nöten. Vor dem Landtag NRW in Düsseldorf wird es am 8. 10. um 15:30 Uhr eine Kundgebung dazu geben. Klare unterstützenden Positionen und Handlungen sind gefragt. So wie der weise Pater es formulierte, finden sich Wunder im Alltäglichen, im Umgang der Menschen. Für das, was sich aus der Stichwahl in Wuppertal ergibt, wünsche ich mir Haltung, gelebte Werte und ein wertschätzendes Miteinander für die Zukunft unserer Stadt, ein Erkennen, dass Kunst und Kultur als Wunder zum heilsamen Gedeihen unserer Stadt wesentlich beitragen. Ein besonderer Wunderkünstler war Mark Sieczkarek; mehr zu ihm nächste Woche in der Kolumne des Tänzers Kenji Takagi. Vom 9. bis zum 26. Oktober lädt die Ausstellung „paths through my garden“ mit Bildern, Kostümen, Fotos, Filmen und Performances ins entstehende Pina Bausch Zentrum ein, in die Wunderwelt Mark Sieczkareks. Feedback ➜ kolumne@fnwk.de vorheriger Artikel Aus der Zeit gefallen 360