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Bevor das Meer die Bilder holt

Soll man die Werke feiern, wie sie fallen? // 21. August 2024

Von Max Christian Graeff

Eben noch schienen die Ferien endlos, doch schon sind sie wieder vorbei: Den Kindern als endloser Freizeitvorrat scheinend, in welchem sich das ganze Leben verändern kann, und für uns Alte – und alle Lehrerinnen – lediglich ein Wimpernschlag in der stets kürzer werdenden eigenen Geschichte. Während der einstigen Hochsaison der Fotolabore heißt es nun, die zahllosen Erlebnisbilder in die allesschluckende Cloud zu schicken, auf dass in den uns fernen, armen Weltregionen die Serverzentren glühen und die Lebensmöglichkeiten der Kinder verdampfen lassen. Mit diesem dystopischen Paradoxon der Zukunftswerte, die Zukunft zerstören können, tauchen wir tief ins Thema, das ich spontan – für den Kollegen Krug einspringend – wähle, da es mich seit Jahren zunehmend in Anspruch nimmt: Das Bewahren von Werken und Vorgängen der Kunst und Kultur ist ein separater Teil der kulturellen Arbeit und verzehrt eine Unmenge an Zeit und Energie.

Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini
Max Christian Graeff - Foto: C. Paravicini

Wir brauchen die geernteten Ergebnisse und Erinnerungen unseres Handelns als Vorratsspeicher der Geschichte, für Fortschritt und Entwicklung, als Lebensmittel fürs eigene Wachsen und Vergehen. Im privaten Bereich ist es wie das Obst, das wir uns im Restjahr auf die Brote streichen, welche aus den nach der Ernte angelegten Mehlvorräten gebacken sind. Privat sind wir dabei meist wie die Eichhörnchen, die viele ihrer für den Winter angelegten Verstecke vertüdeln, aus denen sich dann wiederum andere bedienen: ein Geben und Nehmen, das mehr als eine Spezies am Leben hält. In den naturfernen Gefilden der Kunst und Kultur ist es komplizierter. Einst sammelten, bewahrten und verteilten vor allem die Reichen, die Feudalherren und der Klerus mit aller Willkür, was ihnen selbst diente und gefiel. Heute liegen diese Aufgaben breit gestreut in den Staaten, Ländern, Kommunen und Gemeinden, und die Flut des Erzeugten steigt wie das Meer: die Küsten des Daseins exponentiell überschwemmend. Die Theorie des Anthropozän verzeichnet das Kapitel „Eintrag von Kunststoffen“, und das lässt sich prima übertragen: Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden immer mehr Kunst- und Kulturprodukte, und die meisten werden in diesen und den kommenden Jahren in die Umwelt freigesetzt. Wie wir mit diesem Phänomen auch privat umgehen, ist stets neu zu lernen, denn Institutionen vom Staat über Museen und Archive bis hinunter zum Kulturbüro sind damit zu recht völlig überfordert; ihre Budgets haben vor allem auch die Lebenden und deren kommende Werke zu fördern.

Ich selbst habe, statt eigene Kunst zu machen, zunehmend mit der „Rettung“ und Pflege von Kulturgütern im näheren Umfeld zu tun, in der Regel ehrenamtlich bis zur wirtschaftlichen Schmerzgrenze. Es ist eine notwendige Kulturarbeit, mindestens genauso wichtig wie ein weiterer privater Sonettenkranz oder der Wunsch, doch noch schnell das Aquarellieren zu üben. Man hat endlos viel zu lernen: Das Sortieren, Bewerten und zwangsläufig auch das Zerstören von Werken guter Freundinnen, das Konservieren und Archivieren ebenso wie das Verstauen und erneute In-Verkehr-bringen, das Lebenlassen der an den Lebensrändern gestrandeten Kunst. Nur allzu wenige Kulturtreibende kümmern sich zu Lebzeiten selbst um das, was sie zurücklassen werden – natürlich von jenen abgesehen, die durch verfrühte Ereignisse keine Möglichkeit dazu bekommen. Für mich gehört es zum Werk dazu: Die Entscheidungen selbst zu treffen, was vom pulsierenden Werk zum Dokument werden soll, immer auch mit einem Blick auf die Kosten im Leben von morgen.

Das Thema wird in meiner nächsten Kolumne ganz konkret fortgesetzt. Die bisherigen Texte des Freien Netz Werk Kultur finden Sie fein archiviert auf hier auf www.fnwk.de.

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