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Kann das weg?

Gedanken zur Kunst am Ende eines verdammten Jahres

Von Torsten Krug

In einem sehenswerten Beitrag auf 3sat über Frauen in der Theaterwelt berichtet eine Regisseurin davon, wie sie sich einmal geweigert habe, körperliche Gewalt gegen Frauen auf der Bühne darzustellen. Sie wolle das nicht reproduzieren. Der (männliche) Intendant hielt das für geboten, und da die Regisseurin auf ihrem Standpunkt beharrte, wurde ihr die Regie entzogen. Diese Haltung der Regisseurin beeindruckt mich. Ich kann sie gut nachvollziehen. Seit Jahren beschäftigen mich die Widersprüche, in die wir Theaterschaffenden geraten, indem wir auf der Bühne gesellschaftliche Phänomene anprangern und sie im Theaterbetrieb oft strukturell wiederholen.

Torsten Krug - Foto: Andreas Fischer
Torsten Krug - Foto: Andreas Fischer

In einer Kolumne sind assoziative Sprünge erlaubt, und so komme ich gleich zur »Cancel Culture«. Von englisch »to cancel« = absagen, meint es das Boykottieren von Persönlichkeiten und deren Schaffen, weil sie sich in außergewöhnlichem Maße politisch unkorrekt äußern oder verhalten. Der negativ konnotierte Begriff kommt einem Brandmarken gleich. Gleichzeitig ist das Engagement beispielsweise gegen das unreflektierte Wiedergeben antisemitischer Klischees oder für gendergerechte Sprache ein wichtiger Aspekt vor allem linker Kulturkritik.

Die Kabarettistin und Autorin Lisa Eckhart ist so ein strittiger Fall. Würde man ihre Programme nach US-amerikanischer Manier canceln, bliebe oft nur »Schönen guten Abend, meine Damen und Herren« übrig. In der Garderobe befragt, ob sie das, was sie da auf der Bühne formuliere, auch privat sagen würde, reagiert Eckhart verblüfft: »Niemals!« Und geht noch einen Schritt weiter: Niemand sollte so etwas privat sagen dürfen (!). Aber: Man solle ihr auch nicht die Narrenfreiheit streitig machen.

Till Eulenspiegel, ein altes Rollenmodel für uns Künstlerinnen und Künstler, durfte in seiner Rolle des Narren alles sagen und bloßstellen, ohne dafür belangt zu werden. Ja, er wurde gerade dafür bezahlt, verehrt oder gefürchtet. Er ist sozusagen das Gegenmodell zur »Cancel Culture«. Dass er als Artist oft auf dünnem Seil – ohne Netz – über den Köpfen seines Publikums balancierte, passt hierbei perfekt ins Bild.

Vermutlich denke ich am Ende dieses Jahres darüber nach, weil wir aktuell eine Uraufführung in der börse vorbereiten, die von Friedrich Engels und seinen Gedanken zutiefst inspiriert ist. Engels, der »bergische Eulenspiegel«, dessen 201. Geburtstag wir im kommenden Jahr groß feiern, vereint Widersprüche in sich bis zum Bersten. Um die kommunistische Sache voranzutreiben, musste er die starre Fassade des Besitzbürgers aufrecht erhalten. »Man kann aber ganz gut selbst Börsianer und zu gleicher Zeit Sozialist sein und deshalb die Klasse der Börsianer hassen und verachten«, schreibt er. Ich glaube ihm das sofort. Stelle es mir aber extrem anstrengend vor.

Unser Stück »Ich kann des Nachts nicht schlafen vor lauter Ideen des Jahrhunderts« wird am 15. Januar 2021 im Netz Premiere haben. Sobald als möglich soll es zusätzlich vor Präsenz-Publikum spielen. Protagonistin der »Engelsmaschine« – so der Untertitel – ist eine Frau, umgeben von Technik und Kameras und verkörpert von der wunderbaren Julia Wolff.

Würden wir dieses Jahr »canceln«, wenn wir es könnten? Alle, die Menschen verloren haben oder deren Existenz zerstört ist, wohl sicher. Und doch hält eben dieses Jahr uns den Spiegel vor, brauchen wir seine schlichte Botschaft wohl dringender denn je: »Du musst dein Leben ändern.«

Anregungen und Kritik: kolumne@fnwk.de

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