Das Tal der künstlerischen Intelligenz 30. Oktober 2024 Von Tine Lowisch Meine Stadt steckt voller Möglichkeiten. Über 150 Nationen leben hier friedlich miteinander. Meine Stadt ist grün und wird mit einer machbaren Buga 2031 nachhaltig grüner werden. In meiner Stadt lebt Tony Cragg, der erfolgreichste Bildhauer der Welt, in friedlicher Koexistenz mit unzähligen, oft ehrenamtlich aktiven Zukunftskünstlern und Zukunftskünstlerinnen. Meine Stadt tanzt, und wenn meine Stadt in fünf Jahren 100 Jahre alt sein wird hat sie hoffentlich ihr (Pina Bausch) Zentrum neu erfunden. Meine Stadt war mal sehr reich. Tine Lowisch - Foto: Claudia Scheer van Erp Jetzt ist meine Stadt arm. So arm, wie jedes dritte Kind, das in Wuppertal lebt. Die Armut und ihre gesellschaftlichen Folgen bilden sich immer mehr im Stadtbild ab und das, obwohl der berühmteste Sohn Wuppertals, der junge Friedrich Engels, zusammen mit Karl Marx, in denkwürdigen Schriften bereits vor fast 200 Jahren auf die Auswirkungen Industrieller Revolutionen, die nicht mit dem Versuch einer Lösung der sozialen Frage einhergehen, aufmerksam machte. Durch Armut auf den Straßen und bei uns auch auf den Trassen, entstehen im Moment Alltagserfahrungen, die Wuppertal bald seiner potenziellen Anziehungskraft berauben könnten. Eine neue Strategie muss also her. Hier mein Vorschlag: die extraordinäre, künstlerische Intelligenz dieser Stadt muss mehr mit den Künstlerinnen und Künstlern die hier leben und arbeiten in Verbindung gebracht werden, denn auch die lokalen Größen leisten in und für Wuppertal jeden Tag Pionierarbeit. Die Anzahl der künstlerischen Projekte der Wuppertaler Künstlerinnen und Künstler wächst und wächst, trotz oft prekärer Begleitumstände, und das Angebot ist noch erfreulich vielfältig. Ja, der Gestaltungswille der Bürgerinnen und Bürger in Wuppertal ist eine großartige Leistung, die hier bei uns allerdings gerne wie ein Gottesgeschenk entgegengenommen wird. Es wird in Zeiten knapper Kassen und drohender Haushaltslöcher, meist unterbewertet, denn freiwillige Leistungen in zukünftigen Etats auf kommunaler und auch auf Landes- und Bundesebene sollen im Rahmen der kommenden Haushalte merklich gekürzt werden. Die neuen Rahmenverträge der zukünftigen Kunst-und Kulturarbeit vor Ort weisen bald harte Einschnitte auf. Dies stellt meiner Meinung nach einen Widerspruch zum Bildungsauftrag einer Stadt dar, den man z.B. nicht ideenlos an die Social-Media-Kanäle abtreten sollte, nur weil in die Jahre gekommene Strukturen auch bei der Digitalisierung aufholen müssen. Manchmal stelle ich mir, weil ich eben auch schon in die Jahre gekommen bin – einfach zur Beruhigung, eine Welt vor, in der nur Frauen leben. Die Vorstellung, dass dann weniger Kriege angezettelt würden, ist wahrscheinlich schon überholt. Die Chancen einer nicht patriarchalischen Gesellschaft gedanklich einmal durchzuspielen beruhigt mich trotzdem. Irgendwie. Ich denke dann, dass das immer wichtiger wird, auch wenn es im Moment im Weltereignisumfeld nicht danach aussieht, da diese große Utopie von einer gleichberechtigten Gesellschaftsanordnung wohl nie verwirklicht werden wird. Ich bemerke aber auch, dass es immer wieder gelingt, neue soziale Räume dafür zu schaffen. Am besten mit einem kulturellen Angebot, das alle erreicht. Weil es Interesse weckt, die kreative, menschliche Energie als nachwachsenden Rohstoff anerkennt, gesellschaftliche Realitäten einbettet, inspiriert und Kraft gibt. Und, weil es auch mithilfe lokaler Künstlerischer Intelligenz, einfach dann erst richtig gut gemacht ist. Wuppertal eignet sich dafür, denke ich. Feedback bitte an kolumne@fnwk.de vorheriger Artikel Das Unerwartete hat es schwer 40