Was bleibt? Über den Dialog zwischen den Generationen und zwischen den Jahren // 4. Januar 2023 Von Torsten Krug Im Oberösterreichischen Hallstatt, im Innern des ältesten bekannten Salzbergwerks der Welt, entsteht seit etwa zehn Jahren ein analoges Archiv für die Menschheit. Analog deshalb, weil es Jahrtausende überdauern soll, und unser ganzer digitaler Kram, der so unsterblich tut, im Laufe nur weniger Generationen verfallen sein wird. Vint Cerf, der Vize-Präsident von Google und damit einer, der das von Informatikern so benannte »digital dark age« mitprägt, ist davon überzeugt: im nächsten Jahrhundert wird kein digitales Artefakt der heutigen Zeit mehr lesbar sein. Viele Datenträger haben eine kurze Lebensdauer oder werden unbrauchbar, wenn die Technik fehlt, um sie auszulesen. Torsten Krug - Foto: Andreas Fischer Im Übrigen verbrauchen digitale Archive Strom – die etwa 50 000 Rechenzentren, die es derzeit in Deutschland gibt, jährlich mehr als die Stadt Berlin. Dies bringt mich zu der Frage, wie wir Wissen weitergeben. Aktuell befinden sich unsere Gesellschaft, ihre Irrwege und auch ihre Errungenschaften in einem radikalen Umbruch. Manchmal scheinen die Veränderungen nicht schnell genug zu gehen. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass der Austausch zwischen den Generationen abnimmt. Eine junge Generation teilt die Erkenntnis, möglicherweise der »letzten« anzugehören, die, ökologisch gesehen, noch etwas reißen kann auf unserem geschundenen Planeten. Manch älterer Mensch fühlt sich angegriffen oder sieht alles infrage gestellt, was ihm etwas bedeutet. Vereinzelung und der Rückzug ins biedermeierlich-Digitale scheinen diesen Prozess zu verstärken. Oft – dies hat auch unsere (Gast-)Kolumne in der vergangenen Woche gestreift – kulminiert diese Erfahrung an Weihnachten, wenn die Generationen aufeinandertreffen und sich – manchmal – nur wenig zu sagen haben. Für ein Projekt zum einhundertsten Geburtstag von Karl Otto Mühl (die Aufführung wird am 26. Februar im Theater am Engelsgarten sein) habe ich die Journalistin und langjährige Leiterin des Literaturhauses Wuppertal Anne Linsel besucht und mir von ihr erzählen lassen. Sie gab mir unter anderem eine DVD mit, die Überspielung einer VHS-Kassette, die Aufzeichnung einer damaligen Fernsehausstrahlung. In diesem Film treffen der Autor und Regisseur Paul Pörtner, der Autor und Exportkaufmann Karl Otto Mühl, der Maler Fritz Meis und die Schauspielerin Anne Silberkuhl aufeinander und erinnern sich gemeinsam an die Künstlervereinigung »Der Turm« in Wuppertal, welche unmittelbar nach dem Krieg ein wichtiger Anlaufpunkt für sie und viele andere war. Karl Otto Mühl ist auf den bewegten Bildern rund zehn Jahre älter als ich heute, sie sprechen über eine Vergangenheit, die damals über dreißig Jahre zurück lag, und als ich den Film anschaue, sind weitere über vierzig Jahre vergangen … Ohne Literatur, Malerei, Musik wüssten wir wenig von der menschlichen Seele in vergangenen Zeiten. Sie verbindet uns in der Suche nach uns selbst und der Sehnsucht nach einem utopischen Raum. Vielleicht hilft hier die Vorstellung des Zyklischen, im Gegensatz zur heute verbreiteten digitalen Vorstellung des einen nach dem anderen, des Linearen. Kultur ist – entgegen dem heutigen Anschein – nicht einfach abrufbar. Sie braucht Zeit und Raum, um zu wachsen, braucht Geduld. Ein besseres, haltbareres Archiv als wir Menschen, die wir unser gespeichertes Wissen von Generation zu Generation pflegen, formen und weitertragen, kann ich mir nicht vorstellen. In diesem Sinne also: Auf ein Neues! Anregungen und Kritik zu unseren Kolumnen an: kolumne@fnwk.de 1498