Wie ein Flirren: Worum geht es wirklich? 19. Juli 2022 Von Uta Atzpodien Es ist Hochsommer. Unsere Stadt ist so leer wie schon lange nicht mehr. Einige genießen die Ruhe, andere sind unterwegs, nah oder fern. Wieder andere wären es gerne: Denn noch mehr hat nun auch Corona erwischt. Urlaube fallen aus, werden verschoben. Weitere, die das Virus schon überwunden glauben, fühlen sich noch nicht wieder fit: Ermüdungsmomente und schnell absackende Energiekurven fordern Inseln des Innehaltens ein. Uta Atzpodien - Foto: Ralf Silberkuhl Auch einschneidende Ereignisse brauchen dies, ganz prägnant auch im Danach: Ein Jahr ist die Flutkatastrophe her. Für viele Orte und Menschen steht immer noch eine weitere Aufarbeitung aus. Der Aufbau der Regionen ruft nach Unterstützung, Solidarität. Auch all die Kolleginnen und Kollegen, die jüngst von uns gegangen sind, ermutigen, anzuhalten, um dem zu gedenken, was wir von ihnen weiter mit uns und in die Welt tragen. Der liebevoll besondere Wuppertaler Karikaturist Polo, Jan Minarek, der prägnant markante Hüne und langjährige Tanztheater-Tänzer, der große demütige Regisseur Peter Brook oder der aufmerksame Denker und Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann gehören dazu. Letzterer ist erst diese Tage verstorben und inspiriert mich mit seinem postdramatischen Theater schon so lange. Vor Jahren durfte ich in São Paulo mit ihm arbeiten, zusammen mit einem brasilianischen Kollektiv haben wir den kritischen Blick auf die eigene Gesellschaft erforscht, über Experimente und die Potentiale darstellender Künste. Thies war unser „critical friend“. Aus dieser Haltung nehme ich so viel mit. Die umfassenden aktuellen Hitzewellen, die Dürre, der immer noch andauernde Krieg und die ausstehenden Energie-Engpässe konfrontieren uns immer wieder aufs Neue damit, wie wir all dem begegnen können. Wie ein Flirren: Worum geht es wirklich? Die sommerliche Auszeit samt Entschleunigung, die eigenen Corona-Erfahrungen und die Verluste bewegen, all dem etwas anders zu begegnen, umzudenken. „Waldbaden“ empfahl eine gute Freundin, einfach in die Natur gehen. Das kann helfen, um Klarheit zu gewinnen. Auch Bücher weisen Wege, wie „Weniger ist mehr“ von dem Wirtschaftsanthropologen Jason Hickel. Er spricht von elementarer Bewusstseinsveränderung, stellt das ewige Wachstum in Frage und verweist auf Ökosysteme unseres Planeten, in denen Arten „in gegenseitig bereichernder Weise interagieren“ und Verbundenheit greifbar wird. Genügsamkeit und Gemeinschaftlichkeit klingen nach. Wie können wir sie wahrhaft in unseren Alltag integrieren? Kürzlich hat mich der Film „Homo communis – wir für alle“ von Carmen Eckhardt beeindruckt, die weltweit Menschen porträtiert, die ihre Vision vom Kooperieren und Teilen leben und umsetzen, es versuchen, jenseits von Markt und Staat. Ein riesiger Holzschlüssel wurde übrigens just in Wuppertal übergeben. Ein toller Pilot im Viertel: Die Goldzack-Fabrik in der Wiesenstraße wird – begleitet von der Montag-Stiftung – zur gemeinwohlorientierten Quartiers- und Immobilienentwicklung beitragen. Jetzt noch ein Blick nach Kassel: Hinter der sehr ernstzunehmenden Debatte um den Antisemitismus auf der renommierten Kunstausstellung documenta 15 samt der Kommunikationsprobleme und Konsequenzen stehen viele eingeladene Kunstschaffende im Schatten des Skandals. Worum geht es ihnen wirklich? Mut und Kreativität verbinden viele mit Gemeinschaftlichkeit: Das Schaffensspektrum aus aller Welt, insbesondere aus dem globalen Süden, lädt ein, das genauer zu erkunden, hinzufahren, zu sehen und zu verstehen sowie zu erkennen, welche zukunftsfähigen Botschaften, Einsichten und Perspektiven wir mitnehmen können. Und Sie als „critical friends“ des eigenen Lebens? Worum geht es Ihnen wirklich? Anregungen und Feedback gerne an: kolumne@fnwk.de 1954