Wie stabil ist das „Trotz alledem“ der Kunst? Allein dadurch, dass etwas stattfindet, verändert es schon die Welt // 29. November 2023 Von Max Christian Graeff „Wieso sind denn da auch Krokodile im Regal?“ Die Stimme der Besucherin klang freundlich entrüstet. „Krokodile sind kein Kitsch. Niemals! Krokodile sind einfach Krokodile.“ Ich konnte ihr nur recht geben, denn genau darum ging es in der Kitsch-Ausstellung in der Rathaus Galerie: einen Begriff der willkürlichen Bewertung, der im explodierenden Massenkonsum vor etwa 150 Jahren populär wurde und heute die gesamte Warenwunderwelt durchdringt, subjektiv zu hinterfragen. Weder erhob sich die Ausstellung über persönliche Geschmäcker noch schwang sie eine Keule gegen ästhetische Ausformungen dessen, was unsere Sehnsüchte bedient, während die Welt in Sorgen zerbröselt. Sie forderte zum Nachdenken übers eigene Bewerten auf und vielleicht noch dazu, nicht jeden der zahllosen Zuckerstoffe ins eigene Leben zu stopfen. Pünktlich vorm Fest der Umsatzliebe ist sie nun beendet; es bleiben viele gute Gespräche über Auslegungssachen, das Rechthaben und die unendlichen Weiten zwischen Schwarz und Weiß. Und über die Kunst, die sich einst – je nach kultureller Konditionierung – so bequem vom Kitsch abscheiden ließ. Max Christian Graeff - Foto: C:Paravicinir Das Nachdenken über solche Themen fällt mir in der weltpolitischen Großwetterlage nicht allzu leicht. Das angestrengte Verfolgen der Nachrichten im Willen, etwas verstehen zu wollen, steht immer hinter dem Drang, dass die Kulturarbeit trotz alledem weitergehen muss: mit Neugier und Freude sowohl am Bewahren als auch am Entwickeln. Kriege, Klima und Gelüste am Totalitären wachsen tief ins inhaltliche Arbeiten hinein; Erkenntnisse oder Lösungen liegen jedoch fern. Und der zunehmende angstgetriebene Hass auf alles, was anders ist als man selbst, lässt manche Kunsttreibenden zweimal überlegen, ob sie sich aus dem oft kleinen Schutzraum ihres sicheren Publikums aufs freie Feld hinauswagen. Doch kommt es hier nicht auf Ergebnisse und Profite an: Eine Leistung künstlerischen Agierens ist bereits, dass es stattfindet und schon damit die Welt verändert, auch wenn es nur wenige sehen. Die Kunst trotz der Welt führt die neoliberale Exklusion ad absurdum. Es ist zuweilen bizarr, dies bei der Arbeit an Liedern und Vorträgen fürs nächste Jahr mitzudenken, vor allem, wenn man verschämt doch auch von Freude und Spaß fürs Publikum (und für einen selbst) getrieben wird. Welchem noch unabsehbaren Terror wird die Lebenslust zu widerstehen haben? Was findet statt, obschon ein neues Virus kommt oder Trumputin gewinnt? Welches Honorar wird trotz Haushaltsdebatten die Märzmiete einbringen? Welcher Text wird besser von einer zur Sorge nicht fähigen KI geschrieben? Und sollte ich nicht lieber anderes tun und helfen, statt eigene Projekte voranzutreiben? Wie valide ist das „Trotz alledem“ der Kunst? Das Freie Netz Werk Kultur hat sich während der Pandemie besonders bewährt und Wuppertals Stärken und Schwächen gezeigt. All das ist fast vergessen. Die gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Kraft der Künste trat im Rausch der Rückkehr zum Gewohnten wieder in den Hintergrund. Die zerbrechliche Förderung von Kultur und Bildung zerstört noch nicht den Spaß jedes nächsten Kalenders, doch umso mehr die Hoffnung für alles, was folgt. Gerade jetzt und kein Jahr später gilt es, jeden nicht zwingend nötigen Meter asphaltierten Eigennutz für das Lebendige und Gemeinsame aufzubrechen. Nicht als beliebige Modellträumerei, sondern als wahrhaftige Entscheidung der Stadtpolitik im Verbund mit freien Akteuren. Das unterscheidet vielleicht auch die Kunst vom Kitsch: Das mutig saure Handeln ist für alle gesünder als jedes süße Versprechen. Ihre Meinung bitte an: kolumne@fnwk.de vorheriger Artikel Die Kunst, zu weben und sich zu bewegen 1442