Eigentlich wollte ich eine Postkarte schreiben 27. Juli 2022 Von Mira Sasse Bereits im Winter hatte Uta mich eingeladen, für die Kolumne einen Gastbeitrag zu schreiben. Was zu dem Zeitpunkt terminlich für mich nicht möglich war, hole ich jetzt gern nach. Ehrlich gesagt, ehrt und stresst mich die Einladung gleichermaßen. Was kann ich zu aktuellen Diskursen äußern, die uns zwangsläufig alle bewegen? Klima, Krieg, Corona, vielleicht die Documenta … – weite ausgetrocknete Felder, die allermeisten Worte dazu entweder zu kurz und unbefriedigend oder zu oft schon durch Münder, Augen und Ohren gewandert, sich an den falschen Stellen abnutzend. So beginne ich woanders. Mira Sasse - Fotorechte: Sasse In den letzten zwei Wochen war ich endlich mal wieder unterwegs, habe Zeit verschwendet und Meter gemacht mit dem Zelt in Dänemark und Südschweden, habe Camperinnen und Camper genau beobachtet in ihren Tagesabläufen und Plastikbombern, bin Rad gefahren, habe Kunst geguckt, Fisch und Lakritz gegessen, in der Hängematte gelesen, die Fußball-EM der Frauen mit minimalen medialen Mitteln verfolgt. Es tat gut, Wuppertal Wuppertal sein zu lassen, raus aus den gewohnten Beinahe-Komfortzonen Wohnung, Atelier, Loch, Hebebühne, Schule, rein ins „Glamping“, schließlich hat unser Zelt ein kleines Vorzelt, in dem man bei gelegentlichem Regen und Wind auf Klappstühlen (!) sitzen kann. Dort kann man herrlich nachdenken und vergleichen, was woanders einfach anders läuft. Vor allem in Dänemark hatte ich den Eindruck, dass mobil, digital und nachhaltig sein tatsächlich funktionieren kann, sogar auf dem platten Land. Gehört hatte ich das schon vorher, aber erfahren noch nicht. Fahrradfahren ist dort ein sicheres Abenteuer, bei dem höchstens der stete Wind Adrenalin verspricht und der gepflegte Radweg nach der nächsten Kurve einfach weitergeht. In Kopenhagen soll man bald vom neuen Stadtteil Nordhavn unter dem Skytrain trocken ins Zentrum radeln können. Zu schade, dass unter unserem Skytrain die Wupper fließt und die Lücken zwischen den Trassentunneln (noch) zu groß sind. Begonnen hatte die Reise mit einem kurzen Zwischenstopp auf der Documenta in Kassel (jetzt doch noch). Sensibilisiert durch die Arbeiten des dänischen Kollektivs Trampoline House, welches die Asylpolitik ihres Landes unter anderem dafür kritisiert, neuerdings alle Asylsuchende in Drittländer, wie Ruanda, „auszulagern“, sah ich die Sauberkeit Odenses oder die Smartheit und Lässigkeit Kopenhagens mit anderen Augen. Mir fehlte tatsächlich Diversität, und ich fragte mich auch, wo denn die weniger privilegierten, die älteren, die kranken Menschen sind. Am Rand der Stadt? Auf dem Land? Schlussendlich konnte man sie in der nahen schwedischen Nachbarstadt Malmö schon finden. Dies sind nur subjektive Eindrücke und der Zeitraum nicht lang genug, um in irgendeiner Form ein Urteil ermöglichen zu können und dennoch frage ich mich oft, warum es diese zunehmenden Unterschiede gibt und die vermeintlich „hohe Lebensqualität“ gewisser Orte eben nicht für alle gilt. Zu Hause empfing mich dann unbändige Hitze und die Sorge um erneute Trockenheit, Käferbefall und Waldbrand in den heimatlichen Waldwüsten, die nicht nur meiner Familie im Sauerland zu schaffen machen. Kurz habe ich überlegt, wieder loszufahren, mich einfach in einer Hütte irgendwo im kühlen skandinavischen Bullerbü zu verschanzen und der Welt zu verweigern. Dann dachte ich aber ans Abkunsten, dass ich diese Kolumne noch schreiben soll, wie gern ich Menschen mag und dass ich zumindest mithelfen kann, Wuppertal zu einem Ort mit Lebensqualität zu machen. Anregungen und Kritik an kolumne@fnwk.de vorheriger Artikel Wie ein Flirren: Worum geht es wirklich? 2116 Weitere Informationen WZ KolumneDiese Kolumne in der Westdeutschen Zeitung